Schatten Der Erinnerung
sollte, kam ihr in den Sinn, angefangen von seiner Besorgnis bei ihrer Rettung über seinen Konflikt mit dem Vater bis hin zu seinem Kuss. Sie ertappte sich bei dem Gedanken >wenn nur<. Wenn sie nur nicht diese Amnesie hätte, wenn sie nur nicht die Verlobte von James wäre. Aber durch Wunschdenken ließ sich die Realität nicht ändern.
Ihre Sachen würde sie dalassen. Da es so glühend heiß und sonnig im Tal unten gewesen war, tauschte sie ihr keckes kleines Hütchen gegen einen breitrandigen Strohhut obwohl der Himmel jetzt bedeckt war. Außerdem zog sie Laufschuhe mit flachen Absätzen an. Sie sahen nagelneu aus, aber sie befürchtete, Zeit zu verlieren, wennn sie nach einem eingelaufenen Paar suchen würde. Da sie in Eile war, hatte sie nichts planen können. Sie entschloss sich, in Templeton ihrer Stiefmutter um Beistand zu telegrafieren. Innerhalb von Minuten war sie reisefertig. Ihr Instinkt legte ihr nahe zu fliehen, bevor sie ihre Meinung ändern konnte. Sie vermied es, Slade oder ein anderes Mitglied des Haushalts darum zu bitten, sie in die Stadt zu bringen, denn sie würden es ablehnen oder ihr die Abfahrt auszureden versuchen, da sie ihre Heirat mit Slade wünschten, um an ihr Geld zu kommen.
Das Haus lag auf einem Hügel. Sie ging zum Balkon, von dem aus man auf das abfallende Gelände draußen und auf den bewegten Ozean weiter hinten sehen konnte. Ganz kurz fragte sie sich, ob es regnen würde, denn der Himmel hatte sich nun wirklich eingetrübt und der Ozean war ziemlich stürmisch geworden. Sie zögerte nur kurz, denn sie musste vor allem sich und ihre Interessen schützen. Sonst würde das niemand tun, jetzt nicht mehr.
Regina betrat den Balkon und überlegte hin und her, ob sie über das Geländer klettern und die drei oder vier Meter auf den Boden hinunterspringen sollte. Als sie noch unschlüssig dastand, formte sich in ihrem Kopf ein schattenhaftes Bild, und für einen Augenblick dachte sie, sie sähe jemanden, den sie kannte, jemanden, der ihr vertraut war, der ihr lachend sagte, dass sie es schaffen könnte. Für den Bruchteil einer Sekunde war das so real, dass sie die Person vor sich sah, aber dann war der Augenblick vorbei.
Erstarrt griff sie nach dem Geländer. Die Erinnerung war zwar wieder weg, aber sie hatte tatsächlich gerade an jemanden gedacht, der ihr mit Sicherheit viel bedeutete. Doch jetzt war diese Person wieder in die Dunkelheit ihrer Amnesie eingehüllt.
Wen kannte sie, der so mutig von Balkonen herabsprang? Sie sehnte eine Antwort darauf herbei und war schrecklich enttäuscht, dass ihr die Identität der Person abhanden gekommen war, die ihr doch Sekunden zuvor noch greifbar erschienen war. Vor lauter Frustration stiegen ihr brennende Tränen in die Augen.
Dennoch machte sie sich an die anstehende Aufgabe. Sie brauchte kein Gedächtnis, um zu wissen, dass sie nicht der Typ war, der von Balkonen sprang, und deshalb trat sie vom Geländer zurück. Sie schlüpfte in den Hof hinaus, überquerte ihn und rannte weiter über den angrenzenden Hof. Als sie den Vordereingang erreichte, blieb sie, an die Wand gelehnt, unter zwei Zitronenbäumen stehen. Sie keuchte und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Der Wind hatte zugenommen, hob ihre Röcke hoch und ließ sie dann wieder gegen ihre Beine schlagen. Angestrengt lauschte sie, ob Rufe zeigten, dass sie entdeckt worden war, aber sie hörte nichts.
Ihr Herz hämmerte jetzt wie wild. Sie hatte das Gefühl, mit ihrer Flucht eine Straftat zu begehen. Angestrengt starrte sie durch die Eisentore. Vielleicht war wegen des Wetters oder wegen der Tageszeit - es war mitten am Nachmittag, also Siesta-Zeit -niemand unterwegs. Bei ihrer Ankunft vor einigen Stunden hatte bei den Ställen und Pferchen geschäftiges Treiben geherrscht. Der Zeitpunkt hätte nicht besser sein können. Regina rannte aus dein Hof.
Sie hatte nicht geplant, ein Pferd zu nehmen, aber jetzt war ihr klar, dass sie Templeton anders vor Einbruch der Dunkelheit nicht erreichen würde. Den Weg zu Fuß zurückzulegen, kam nicht in Frage. Als sie mit Slade auf der Straße unterwegs gewesen war, hatte es keinerlei Verkehr gegeben. Aber selbst wenn es anders gewesen wäre, hätte sie auf keinen Fall versucht, von einem Fremden in die Stadt mitgenommen zu werden. Allein der Gedanke daran schien völlig unannehmbar.
Andererseits war sie nicht gerade begeistert von der Vorstellung, sich selbst ein Pferd holen zu müssen. An diesem Nachmittag hatte sie erfahren, dass sie keine
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