Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
Arbeitszimmer
setzen können, dafür war es schließlich da – zumindest bis wir einmal Kinder
haben würden. Doch wie zwei Magnete zogen wir uns magisch an, suchten die Nähe
des anderen, mal bewusst, mal unbewusst.
Wenn er kochte, setzte ich mich mit
einem Buch in die Küche, um mir in den kleinen Arbeitspausen einen Kuss zu
stehlen.
Es würde keine Kinder geben, die
Holzsplitter würden nicht an die Oberfläche vorstoßen, er würde nie mehr für
mich kochen, nie wieder würde sein Körper die Kuhle ausfüllen und nie wieder würden
sich unsere Hände finden.
Er hatte mich hier allein zurückgelassen
und ich wusste nicht, wie ich den Rest meines Lebens überhaupt überstehen
sollte.
Du wirst neue Lebensweisen finden,
hatte Sophie mir vor den Tafeln erklärt. Das alles war so weit entfernt und
unrealistisch.
Er war einfach überall. Selbst die
Möbel schienen sich an ihn zu erinnern. Selbst wenn ich aufräumen würde, seine
Sachen aus der Wohnung verbannen würde, er wäre in jeder Ecke der Wohnung. Wie
sollte ich ihn da vergessen? Wie sollte ich damit abschließen?
Ich konnte keine Sekunde länger im
Wohnzimmer bleiben. Hier hatten wir die meiste Zeit miteinander verbracht –
hatten geredet, hatten geschwiegen, hatte gelacht, hatten uns gestritten.
Ich musste hier raus.
Unsere sonst so luftige Altbauwohnung
schien mich zu erdrücken. Die hohen Wände kamen immer näher, engten mich ein
und nahmen mir die Luft zum Atmen.
Ich musste hier raus – weg, einfach
nur weg.
Schnell zog ich mir einen Pullover
über, schlüpfte in Schuhe und Jacke und verließ die Wohnung.
* * *
Als ich losgegangen war, hatte ich
kein Ziel vor Augen. Ich ließ mich einfach treiben und meine Beine bestimmten
den Weg. Mal bog ich rechts ab, mal links – quer durch das Gewirr aus Straßen
und Kreuzungen.
Es war nicht viel los, kaum einer war
unterwegs. Sicherlich genossen alle den freien Tag zu Hause im Kreise ihrer
Liebsten. Ich hatte kein Zuhause mehr, in dem mein Liebster auf mich wartete.
Ich war allein.
Ein milder Wind blies mir ins
Gesicht. In ihm lag ein Hauch von Frühling, der sich immer weiter vorkämpfte.
Der Winter war dieses Jahr lang gewesen. Immer wieder hatte es nochmals
geschneit. Doch nun schien sich die Natur aufzubäumen und Väterchen Frost
endgültig in seine Schranken zu weisen.
Als ich aufblickte stand ich vor den
Toren des Friedhofes. Wie war ich bloß hier gelandet? Warum tat mein Körper mir
das an? Ich wollte den Erinnerungen entfliehen und mich nicht ihrem Ende
stellen. Aber wie von einer fremden Kraft getrieben schritt ich durch das Tor.
Der Kies unter meinen Füßen knirschte vertraut, ganz so, als hätte er seit
einer Ewigkeit auf mich gewartet.
An dem umstehenden Bäumen zeigten
sich die ersten Triebe und die Wiese hatte ein sattes Grün angenommen. Nichts
erinnerte mehr an den grauen Schleier, der sich vor vier Wochen darüber gelegt
hatte.
Ein Schmetterling umkreiste die
Grashalme, ließ sich immer wieder nieder, um dann von neuem zu starten. Wie
einfach das Leben eines Schmetterlings doch war. Gezeugt als kleine Raupe,
ziehen sie sich in einen schützenden Kokon zurück, um am Ende die Flügel
auszubreiten und durch die Luft zu schweben.
Ein weiterer Falter gesellte sich zu
der Szene und beide begangen einen spielerischen Tanz. Immer wieder haschten
sie sich, umkreisten einander, bis sie schließlich gemeinsam aufbrachen und
mich allein zurück ließen. Jeder hatte jemanden. Und ich?
Ich war allein. Das Leben ging
einfach weiter und hatte mich vergessen mitzunehmen.
Die Sonne hatte sich inzwischen
hinter den Bäumen zurückgezogen und schlagartig preschte die Dämmerung hervor.
Alles wurde umhüllt von Dunkelheit und Schatten und den eben noch wärmenden
Sonnenstrahlen folgte ein kalter Windzug. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper
wie eine zweite Haut. Die Dunkelheit kam immer näher und ehe ich es mich
versah, hatte sie mich komplett umschlungen.
Als ob mir meine Augen einen Streich
spielen wollten, hob sich eine mannshohe Form von der Schwärze ab. Eine
unförmige Silhouette – sie kam immer näher – hielt genau auf mich zu.
Eine lauernde Bedrohung lag in der
Luft, eine dunkle Vorankündigung. Mein Atem ging schneller. Was immer das war,
was da auf mich zukam, es bedeutete Gefahr. Jede Faser meines Körpers begann zu
schreien.
Lauf! – hämmerte es in meinem Kopf.
Schnell drehte ich mich um und begann
zu rennen. Fast wäre ich über meine eigenen Füße gestolpert, so
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