Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
Michael lassen – er war ein fantastischer Tänzer, als hätte er
jahrelange Übung darin. Bei ihm hatte alles eine unbeschwerte Leichtigkeit, als
wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Dabei konnte ich mich nicht daran
erinnern, jemals zuvor mit ihm getanzt zu haben. Auch hatte ich ihn nie eine
andere Frau führen sehen.
Als ich mich umsah, waren wir am
äußersten Rand der Tanzfläche im hintersten Teil des Raumes angelangt. Mit
einem Mal blieb Michael stehen und ergriff meine Hand.
»Komm mit, ich habe noch eine
Überraschung für dich.«
Irritierte blickte ich mich um und
sah Robert, wie er gerade vertieft mit Alexander diskutierte. Es würde ihm
wahrscheinlich nicht auffallen, wenn ich kurz verschwinden würde.
Michael führte mich durch die
nächstgelegene Tür. Wir gingen zwei Treppen nach oben und schon bald hatte ich
die Orientierung verloren.
»Wo bringst du mich hin?« Ihm gefolgt
zu sein, erschien mir mit einem Mal keine so gute Idee mehr gewesen zu sein.
Er blieb stehen und öffnete eine Tür.
»Kennst du dich mit deutschen Hochzeitsbräuchen aus?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Der hier wird dir gefallen. Es nennt
sich Brautstehlen«, und im nächsten Moment schubste er mich in den dunklen Raum
vor uns.
Er machte das Licht an, eine kahle
Glühbirne, die von der Decke baumelte und den Blick auf das Innere erhellte.
Wir waren in einer Abstellkammer. Die Wände waren vollgestellt mit Regalen in
denen sich Reinigungsmittel, Tischdecken und Handtücher stapelten.
»Ich glaube kaum, dass es irgendein
Brauchtum gibt, bei dem die Braut in eine Abstellkammer eingesperrt wird«,
zischte ich wütend.
»Zugegeben ich habe das Ganze etwas modifiziert.«
Es dämmerte mir langsam. Ich hatte so
etwas in den unzähligen Brautzeitschriften gelesen, die Jessica mir besorgt
hatte. Beim Brautstehlen waren meist alle, zumindest aber die Trauzeugen,
eingeweiht und halfen dem Bräutigam dabei, seine frisch Angetraute
wiederzufinden. Für gewöhnlich ging es allerdings in die nächstgelegene Kneipe
und nicht in eine Rumpelkammer.
»Wer weiß noch davon?«
»Keiner«, entgegneter Michael trocken
und schien dabei keine Spur von Reue zu empfinden. »Ich sagte doch, ich habe
die Regeln etwas geändert.«
»Dann ändere ich hier auch mal was«,
fuhr ich ihn wütend an und wollte nach dem Türgriff greifen. Doch da war
keiner. Dort wo eine Türklinke hätte sein müssen, war nur blankes Holz. »Was
soll der Mist?«
»Ich wollte lediglich noch etwas Zeit
mit dir verbringen, wo du dich doch augenscheinlich für den Falschen
entschieden hast.«
»Wenn du es nicht erträgst, dann
wärst du am besten gar nicht erst gekommen. Mach sofort die Tür auf!«
Er zuckte entschuldigend mit den
Schultern. »Ich fürchte, das geht nicht. Die Tür lässt sich nur von außen
öffnen.«
»Hast du völlig den Verstand
verloren??! Und wie soll uns jemand finden, wenn du es niemandem erzählt hast?«
»Du hast ja keine hohe Meinung von
deinem Ehemann. Meinst du nicht, er wird alle Hebel in Bewegung setzen, um dich
zu finden? Ich hätte das getan. Oder glaubst du, dass ihm dein Fehlen erst sehr
viel später auffallen wird?«
Ich hatte keine Ahnung, wann es ihm
auffallen würde. Aber er würde mich suchen und er würde nicht aufgeben, bis ich
wieder bei ihm wäre.
Böse funkelte ich ihn an. Wie konnte
er es nur wagen?!
»Jetzt sieh mich nicht so an. Ich
hatte ihn doch vorgewarnt oder nicht? Ich hab ihm ganz offen gesagt, dass ich
mir meine Chance nicht entgehen lassen würde. Dass er es mir allerdings so
einfach macht, damit habe ich nicht gerechnet. Ich hatte schon die Befürchtung,
dass er dich keine Sekunde aus den Augen lässt. Aber wie schnell man sich doch
irrt, nicht wahr?« Ein hämisches Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab
und ich hatte nicht übel Lust, es ihm aus dem Gesicht zu schlagen.
»Du hast sie doch nicht mehr alle!«
»Keineswegs. Ich habe noch einen
objektiven Blick für die Dinge, im Gegensatz zu dir. Keine drei Stunden nach
der Trauung lässt er zu, dass ich dich entführen kann und wie es scheint, hat
er noch nicht einmal damit begonnen, dich zu suchen. Oder hörst du ihn etwa?«
Was war nur in ihn gefahren? Ich
wusste, dass es ihn damals hart getroffen hatte, als ich mich für Robert entschieden
hatte und nicht für ihn. Ich wusste, dass er ihm das vorwarf, aber dass er ihn
so sehr hasste – das war wie eine Ohrfeige. Michael war immer ein fester
Bestandteil meines Lebens gewesen. Ich liebte
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