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Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Titel: Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Norda
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Eine
kleine ältere Frau im rosa Kostüm strahlte mich freundlich an. »Ich glaube das
sind Sie Schätzchen«, sagte sie zu mir und wies auf den Zettel in meiner Hand. Ich
folgte ihrem Blick und starrte auf die Überreste des Schnipsels zwischen meinen
Fingern. Ich hatte den Zettel in den letzten Stunden ganz schön malträtiert,
doch die Nummer darauf konnte man immer noch lesen – Nummer 63.
    »Danke«, flüsterte ich ihr zu und
stand auf. Nach stundenlangem Warten wurde ich endlich aufgerufen und hätte es
fast verpasst. Zu vertieft hing ich meinen Erinnerungen nach. Ich hatte an
meinen – an unseren letzten Besuch gedacht. Als mir bei der schleichenden
Bearbeitung fast der Kragen geplatzt war. Robert hingegen hatte alles mit einer
Seelenruhe geschehen lassen. Für ihn war es wie ein Eignungstest. Ein Test für
frisch Verliebte, ob sie die Strapazen einer Hochzeitsanmeldung auch zusammen
überstehen konnten oder ob dies bereits eine unüberwindliche Hürde darstellte.
    Ich stand vor Raum Nummer drei und
klopfte.
    »Herein«, raunte es mir entgegen.
Auch dieser Stimme war das Wort Freundlichkeit offenbar fremd.
    Ich trat ein und fand mich in einem
völlig überfüllten Büro wieder. An den Wänden waren breite Archivschränke
aufgestellt. Schränke, die durch das Drehen einer Kurbel an der Stirnseite nach
rechts und links verschoben werden konnten und damit eine Gasse öffneten, um an
die Unterlagen zu gelangen.
    »Nehmen Sie Platz«, sagte die
stämmige Frau zu mir und ich zweifelte augenblicklich daran, ob die
Schrankgasse für sie ausreichen würde. Ich setzte mich an einen kleinen Tisch,
an dem nur ein Stuhl stand. Ihr eigener Schreibtisch stand an der anderen Seite
des Raumes.
    Sichtlich genervt sah sie mich an und
nahm ihre Lesebrille ab. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich benötige die Geburtsurkunde
meines Mannes. Er ist verstorben. Hier habe ich seine Sterbeurkunde. Man sagte
mir am Telefon, das würde als Vollmacht genügen.«
    »Warum brauchen Sie dann noch seine
Geburtsurkunde?«, fragte sie unverblümt.
    »Ich denke, das tut hier nichts zur
Sache. Es ist eine persönliche Angelegenheit. Könnten Sie mir die Urkunde also
heraussuchen?«
    Behäbig stand sie auf und ging zu den
Archivschränken. Ich nannte ihr seinen Namen und das Geburtsdatum. Sie schritt
die Reihen entlang und als sie in dem Bereich seines Geburtsjahres angekommen
war, drehte sie an der Kurbel und eine neue Gasse öffnete sich.
    Ich hatte recht gehabt mit meiner
Einschätzung, nur quer konnte sie sich durch die Nische schieben. Hoffentlich
blieb sie dabei nicht stecken. Ich wartete darauf, dass sie wieder auftauchen
würde und hörte dabei das Rascheln von Papier, das dumpf aus dem Spalt drang.
    »Sind Sie sich sicher mit dem
Geburtsdatum?«
    Was war das denn bitte für eine
Frage? Wollte sie mir jetzt auch noch unterstellen, dass ich den Geburtstag
meines Mannes vergessen hatte?
    »Also ich finde hier keinen Robert
Schmidt«, fügte sie an und kam wieder aus dem Schrank hervor, ein längliches Buch
in Händen haltend. Sie zog ihren Bürostuhl heran und setzte sich neben mich.
    »An diesem Tag gab es sechs Geburten
im Rostocker Raum, aber ihr Mann ist nicht dabei«, sagte sie fast anklagend und
schielte mich über ihre Lesebrille hinweg an. »Sehen Sie«, sprach sie weiter
und zeigte mir jede einzelne Seite. Sie alle waren durchnummeriert und
offensichtlich vollständig. Es fehlte kein einziges Blatt. »Vielleicht haben
Sie sich ja in der Behörde geirrt.«
    »Nein, ich bin mir ganz sicher«,
sagte ich und stand auf. »Entschuldigen Sie die Störung und danke für Ihre
Mühe.«
    Was war hier bloß los? Ich war mir
ganz sicher – der gleiche Warteraum, die gleichen Schränke, alles war genauso,
wie vor zwei Jahren, als es keine Probleme gab und sein Dokument sofort
gefunden worden war. Er war verschwunden und es schien so, als hätte es ihn nie
gegeben.
    Ich werde alles in meiner Macht
stehende tun, damit du mich vergessen kannst.
    Aber ich wollte ihn nicht vergessen.
Und ich würde ihn nicht vergessen, sosehr er sich auch bemühte. Er konnte es
vielleicht andere glauben machen, konnte mir die materiellen Beweise klauen,
aber ich würde ihn nicht vergessen. Niemals.
    Und ich würde auch nicht vergessen,
was er mir gerade antat. Er hatte mich in ein Meer aus Chaos gestürzt und
einsam trieb ich dahin, ein Spielball übermächtiger Wellen.
    * * *
    Es regnete in Strömen, als ich zurück
fuhr. Nur schleichend zogen sich die Autos

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