Schatten der Liebe
Sie hatte sich am Telephon dafür entschuldigt, und er war gewillt, ihr auf halbem Wege entgegenzukommen. Immerhin war er seit Jahren über dies alles hinweg, und es wäre dumm, sich über jemanden zu ärgern, der in seinem Leben längst keine Rolle mehr spielte.
Durch seinen offensichtlich nicht feindseligen Empfang ermutigt, streckte Meredith ihm ihr schwarzbehandschuhte Rechte entgegen und bemühte sich, ihre Nervosität zu verbergen. »Hallo, Matt«, brachte sie heraus, und ihre Stimme klang gefaßter, als sie sich fühlte.
Sein Händedruck war kurz und geschäftsmäßig. »Nur einen Augenblick; ich muß noch kurz telephonieren, bevor wir gehen.«
»Gehen?« fragte sie. »Was meinst du mit... gehen?«
Matt griff nach dem Telephon auf seinem Schreibtisch. »Ein neues Kunstwerk für mein Büro ist angekommen, und sie werden das Bild in ein paar Minuten hier aufhängen. Außerdem dachte ich, daß wir uns beim Essen besser unterhalten könnten.«
»Beim Essen?« wiederholte Meredith und suchte verzweifelt nach einem Weg, das zu umgehen.
»Erzähl mir jetzt bitte nicht, daß du bereits gegessen hast, weil ich dir das nämlich nicht abnehme«, sagte er und drückte die Wähltaste seines Apparates. »Du hast es doch immer für unzivilisiert gehalten, vor zwei Uhr nachmittags zu Mittag zu essen.«
Meredith erinnerte sich, etwas derartiges gesagt zu haben, als sie damals die paar Tage mit ihm auf der Farm verbracht hatte. Was für ein selbstgefälliges Ding sie doch mit achtzehn gewesen war. Inzwischen aß sie mittags meist nur ein oder zwei Sandwiches an ihrem Schreibtisch - sofern sie überhaupt dazu kam, etwas zu essen. Wenn sie es sich recht überlegte, war die Idee, in einem Restaurant zu speisen, gar nicht so übel. Auf diese Art würde er wenigstens nicht losbrüllen oder ihr sonst eine Szene machen können, wenn er die Neuigkeit erfuhr.
Nachdem er telefoniert hatte, holte er seinen Mantel aus dem Schrank. Meredith bemerkte währenddessen das gerahmte Photo auf seinem Schreibtisch, das eine sehr hübsche junge Frau zeigte, die auf einem umgestürzten Baumstamm saß, die Knie an die Brust gezogen. Ihr Haar flog im Wind, und sie hatte ein bezauberndes Lächeln. Entweder war sie ein professionelles Photomodell, oder aber - das schloß Meredith aus dem Lächeln - sie war in den Photographen verliebt.
»Wer hat diese Aufnahme gemacht?« fragte sie, als Matt auf sie zukam.
»Ich, warum?«
»Nur so.« Die junge Frau war kein bekanntes Starlet und gehörte auch nicht der High Society an. Sie war von einer frischen, unverdorbenen Schönheit, und Meredith sagte: »Ich kenne sie nicht.«
»Sie verkehrt nicht in deinen Kreisen«, sagte er sarkastisch und schlüpfte erst in sein Jackett und dann in seinen Mantel. »Sie arbeitet als Chemikerin in einem Forschungslabor in Indiana.«
»Und sie liebt dich«, schloß Meredith, die sich über den verborgenen Sarkasmus in seiner Stimme wunderte.
Matt warf einen Blick auf das Bild seiner Schwester. »Sie liebt mich.«
Meredith spürte instinktiv, daß dieses Mädchen ihm viel bedeutete, und wenn das wahr war - wenn er möglicherweise daran dachte, sie zu heiraten -, dann würde er an einer raschen und unkomplizierten Scheidung genauso interessiert sein wie sie selbst. Und das würde ihr alles sehr viel leichter machen.
Als sie durch das Büro seiner Sekretärin gingen, sagte Matt zu ihr: »Tom Anderson ist bei der Bauausschußsitzung in Southville. Wenn er sich meldet, während ich weg bin, soll er mich bitte in dem Restaurant anrufen.«
22
Eine silbergraue Limousine wartete vor dem Eingang auf sie, und ein bulliger Chauffeur, dessen Nase unverkennbar mehrere Male gebrochen gewesen war, hielt Meredith die Tür auf. Als sie losfuhren, hielt Meredith sich erschrocken an der Armlehne fest und schaffte es kaum, ihre Angst zu verbergen, während der Chauffeur den Wagen mit quietschenden Reifen durch die Straßen manövrierte. Nachdem er eine rote Ampel überfahren und einen Bus gefährlich geschnitten hatte, wanderte ihr Blick nervös zu Matt.
Er antwortete ihre unausgesprochene Frage mit einem Achselzucken: »Joe hat seinen Traum, einmal in Le Mans zu starten, noch nicht aufgegeben.«
»Aber hier ist nicht Le Mans«, sagte Meredith und klammerte sich fester an die Armlehne, als der Wagen um die nächste Ecke raste.
»Und er ist kein Chauffeur.«
Wild entschlossen, seine nonchalante Haltung zu imitieren, lockerte Meredith ihren Griff. »Ach nein? Was ist er
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