Schatten der Liebe
Hand auf den Tisch gehauen, daß die Teller klirrten. »Du gehst nach Maryville, wo auch deine Großmütter waren, und du wirst bis auf weiteres zu Hause wohnen. Zu Hause!« tobte er. »Ist das klar? Keine weiteren Diskussionen!« Dann hatte er seinen Stuhl zurückgestoßen und den Raum verlassen.
Als Kind hatte Meredith alles getan, um ihm zu gefallen, und sie hatte ihm Freude gemacht - durch ihre Noten, ihr Benehmen, ihre Gehorsamkeit. Sie war praktisch eine Mustertochter gewesen. Jetzt jedoch merkte sie, daß der Preis für das Wohlwollen ihres Vaters und für häuslichen Frieden ihr allmählich zu hoch wurde: Sie sollte ihre Individualität aufgeben und all ihre Zukunftsträume in den Wind schreiben, von einer richtigen Jugend ganz zu schweigen!
Seine absurde Einstellung, daß sie weder Verabredungen treffen noch zu Partys gehen sollte, war momentan nicht ihr Hauptproblem, hatte jedoch bereits in den vergangenen Wochen zu zahlreichen Streitigkeiten zwischen ihnen geführt. Seit sie achtzehn war, schien er eher noch strenger zu werden. Wenn Meredith eine Verabredung hatte, öffnete er dem jungen Mann selbst die Tür und unterzog ihn dann einem längeren Kreuzverhör, wobei er ihn vorsätzlich beleidigte und derart einschüchterte, daß keiner sich je traute, sie ein zweites Mal einzuladen. Außerdem bestand er darauf, daß sie spätestens um Mitternacht wieder zu Hause war. Wenn sie bei Lisa übernachtete, erfand er irgendeinen lächerlichen Grund, um dort anzurufen. Fuhr sie für wenige Stunden weg, wollte er wissen wohin; kam sie zurück, verlangte er eine detaillierte Beschreibung, wo sie gewesen war und was sie gemacht hatte. Nach all den Jahren, die sie in den denkbar strengsten Privatschulen verbracht hatte, wollte sie jetzt aber einmal den Geschmack der totalen Freiheit kosten. Sie hatte es sich verdient. Sie verdiente es. Der Gedanke, die nächsten vier Jahre zu Hause unter dem zunehmend strenger werdenden Regime ihres Vaters zu verbringen, erschien ihr ebenso abschreckend wie überflüssig.
Bisher hatte sie nie offen gegen ihn rebelliert, da Widerstand ihn erst recht reizte und alles noch viel schlimmer machte. Er konnte es nicht ertragen, wenn jemand nicht nach seiner Pfeife tanzte, und zeigte dann oft noch nach Wochen seinen Ärger. Doch war es weniger die Angst vor seinen Wutausbrüchen gewesen, die Meredith in der Vergangenheit bewogen hatte, ihm nachzugeben. In erster Linie war es ihr inneres Bedürfnis nach seiner Anerkennung. Außerdem konnte sie sich gut vorstellen, wie sehr ihn das Verhalten ihrer Mutter und der darauffolgende Skandal erniedrigt haben mußten. Als Parker ihr damals alles darüber erzählt hatte, war er der Meinung gewesen, daß die übertriebene Sorge ihres Vaters vermutlich zum Teil auf die Angst zurückzuführen wäre, sie zu verlieren, zum Teil aber auch auf die Befürchtung, daß sie versehentlich etwas tun könnte, das den Skandal Wiederaufleben ließe, den ihre Mutter verursacht hatte. Meredith gefiel dieser letzte Gedanke nicht sonderlich, aber sie hatte es akzeptiert und die vergangenen fünf Wochen damit verbracht, mit ihrem Vater zu diskutieren. Wenn das nicht funktionierte, hatten sie gestritten. Gestern jedoch war es zur ersten richtiggehenden Schlacht zwischen ihnen gekommen. Die Northwestern University hatte die Rechnung über eine Anzahlung des Studiengeldes geschickt, und Meredith war damit in sein Arbeitszimmer gegangen. Sehr ruhig hatte sie gesagt: »Ich gehe nicht nach Maryville. Ich gehe auf die Northwestern University und werde dort einen Abschluß machen, der in der Geschäftswelt etwas zählt.«
Als sie ihm die Rechnung gab, schleuderte er sie in die Ecke und schaute Meredith derart wütend an, daß ihr fast übel wurde. »Tatsächlich?« fragte er mit unverhohlenem Spott. »Und von was willst du das Studiengeld dort bezahlen? Ich habe dir gesagt, daß ich dafür nicht aufkomme, und von deiner Erbschaft bekommst du keinen Pfennig, bevor du dreißig bist. Es ist zu spät, dich um ein Stipendium zu bewerben, und du erhältst garantiert auch keine staatliche Unterstützung, also vergiß es lieber gleich. Du wirst hier wohnen und in Maryville studieren. Ist das jetzt endgültig klar, Meredith?«
Der Ärger und die Wut, die sie jahrelang schweigend hinuntergeschluckt hatte, ließen sich nicht länger unterdrücken. Meredith tobte. »Du bist furchtbar ungerecht!« schrie sie. »Warum verstehst du nicht...«
Er erhob sich sehr langsam und blickte sie mit
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