Schatten der Liebe
Auf dem Opern-Benefiz-Ball am Samstagabend hat sie ihn vor den Augen aller Anwesenden geschnitten. Unsere liebreizende Meredith, die, wie jeder weiß, die Höflichkeit in Person ist, weigerte sich, Matt Farrell die Hand zu geben. Man ist geneigt, nach dem Grund dafür zu fragen.
Zu verspannt zum Arbeiten und zu müde zum Ausgehen, stand Meredith in der Mitte ihres hübschen Wohnzimmers und betrachtete die antiken Tische und Stühle, als wären sie ihr ebenso fremd wie ihre innere Unruhe. Der Perserteppich unter ihren Füßen zeigte ein blaßgrünes Muster auf beigem Grund. Alles war exakt so, wie sie es gewollte hatte - von den Chintz-Vorhängen vor den großen Fenstern bis hin zu dem französischen Sekretär, den sie in New York auf einer Auktion ersteigert hatte. Diese Wohnung war neben ihrem BMW-Coupe der einzige Luxus, den sie sich leistete. Heute kam ihr der Raum fremd und unordentlich vor - genauso wie die Gedanken in ihrem Kopf.
Sie beschloß, ihre Arbeit noch eine Weile aufzuschieben und ging in die Küche, um sich eine Tasse Kaffee einzuschenken. Mit dem Rücken gegen die Theke gelehnt, nippte sie an ihrem Kaffee und wartete darauf, daß ihr Kopf wieder klar wurde. Vorher würde sie nicht über den gestrigen Abend nachdenken.
Was sie zu Stanton gesagt hatte, entsprach genau ihren Gefühlen. Und eben diese unkontrollierbaren, schmerzhaften Gefühle waren es, die sie am meisten irritierten und ärgerten. Und sie hatte Angst, daß es ihr noch einmal passieren würde. Doch sie verwarf diesen Gedanken im selben Moment, in dem er auftauchte. Abgesehen von der widerwärtigen Tatsache, daß Matt besser aussah und mehr Ausstrahlung und Charme besaß, als einem Mann seines Kalibers zukam, fühlte sie jetzt nichts mehr. Scheinbar war die Gefühlsexplosion des vergangenen Abends der letzte schwache Ausbruch eines erloschenen Vulkans gewesen.
Jetzt, da sie die Situation analysiert hatte, fühlte Meredith sich erheblich wohler. Sie schenkte sich noch eine zweite Tasse Kaffee ein, ging damit zurück ins Wohnzimmer und setzt sich an ihren Schreibtisch, um zu arbeiten. Ihre wunderschöne Wohnung schien ihr wieder aufgeräumt und vertraut - genau wie ihre Gedanken. Sie warf einen Blick auf das Telephon am Sekretär und spielte einen absurden Moment lang mit dem Gedanken, Matt Farrell anzurufen und das zu tun, was ihrer guten Erziehung entsprach: sich förmlich dafür zu entschuldigen, daß sie ihm eine Szene gemacht hatte. Mit einem leichten Schulterzucken verwarf sie die abstruse Idee wieder, öffnete ihren Aktenkoffer und entnahm ihm die Finanzierungspläne für die geplante Filiale in Houston. Matthew Farrell hatte sich einen Teufel um ihre Gedanken und Gefühle geschert, als sie noch verheiratet waren. Deshalb würde es ihm auch gleichgültig sein, was sie am gestrigen Abend getan hatte. Außerdem war er so egozentrisch und so gefühlskalt, daß ihn sowieso nichts verletzen und kränken konnte.
16
Pünktlich um zehn Uhr Montag morgen stand Peter Vanderwild vor Miss Stern, die er für sich »Die Sphinx« nannte, und wartete wie ein Bittsteller darauf, daß sie mit ihm sprechen würde. Aber erst als sie mit dem, was sie gerade tippte, fertig war, wandte sie ihm ihren stechenden Blick zu. »Ich habe um zehn Uhr einen Termin bei Mr. Farrell«, informierte er sie.
»Mr. Farrell ist in einer Sitzung. Er wird Sie in fünfzehn Minuten empfangen.«
»Soll ich hier auf ihn warten?«
»Wenn Sie in den nächsten fünfzehn Minuten nichts besseres zu tun haben«, entgegnete sie frostig.
Wie ein wegen Aufsässigkeit getadelter Pennäler schlich Peter zum Fahrstuhl und kehrte in sein Büro zurück. Das schien allemal klüger, als im sechzigsten Stock zu bleiben und ihr auf diese Art zu beweisen, daß er mit fünfzehn Minuten nichts Ordentliches anzufangen wußte.
Punkt zehn Uhr fünfzehn ließ Miss Stern ihn ins Allerheiligste vor, doch bevor Peter noch seinen Mund öffnen konnte, klingelte das Telephon auf Matts Schreibtisch.
»Setzen Sie sich, Peter «, sagte Matt. »Ich bin gleich soweit.« Den Hörer unters Ohr geklemmt, schlug Matt den Ordner mit Peters Übernahmevorschlägen auf, den er über das Wochenende durchgesehen hatte. Die Genauigkeit von Peters Arbeit hatte ihn beeindruckt, einige seiner Vorschläge jedoch überrascht. Als ein Telephonat beendet war, lehnte er sich im Stuhl zurück und wandte Peter seine ganze Aufmerksamkeit zu. Er befragte ihn zunächst noch einmal genauer zu den Unternehmen in Atlanta und
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