Schatten Der Versuchung
einmal die Andeutung eines Atemzugs war in seinem Körper zu spüren, nicht der Hauch eines Herzschlags. Natalya blieb misstrauisch. Genauso hatte sie ihn schon vorher erlebt, und er war trotzdem imstande gewesen, ihre Gedanken zu lesen.
Ihr Unbehagen wuchs. Ihr Magen brannte, und ihre Nackenhaare sträubten sich. Irgendetwas stimmte nicht... stimmte ganz und gar nicht! Natalya schnappte sich ihre Pistolen, presste sich an die Tür und lauschte. Kein Laut war zu hören. Sie fuhr mit den Händen über die Türfüllung. Die magischen Schutzschilde waren intakt, und es waren praktisch die stärksten, die sie je geschaffen hatte. Trotzdem blieb sie verunsichert. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Wieder spähte sie nervös zum Bett.
Vikirnoff lag wie tot da, aber plötzlich öffneten sich ohne Vorwarnung seine Augen, und sein Atem entwich mit einem leisen Zischen. Natalya wäre vor Schreck beinahe an die Decke gesprungen. Ihr Blick richtete sich sofort auf sein Gesicht.
Welche Gefahr hat mich aus dem Schlaf gerissen ?
Du spürst es also auch? Sie drehte sich mitten im Zimmer langsam im Kreis und versuchte, wie eine Art Stimmgabel die Schwingungen der Bedrohung aufzufangen.
Geh hier raus! Jetzt gleich, Natalya!
Sie lief zum Fenster und fuhr mit ihren Händen über die Vorhänge. Natalya hatte keine Ahnung, was sie suchte, aber sie fand nichts. Das Grauen, das sie empfand, war überwältigend. Ein Glück, dass ich keine Probleme mit meinem Ego habe, sonst wäre ich ganz schön fertig, weil du mich ständig wegschickst. Sie warf Vikirnoff einen raschen, prüfenden Blick zu. Falls es zum Äußersten kam, würde er nicht in der Lage sein, mit körperlichem Einsatz zu kämpfen. Er konnte sich nicht einmal bewegen, weil ihn die Tageszeit lähmte. Sie selbst fühlte sich müde und schlapp, aber sie hatte ihre Waffen, und was sie auch bedrohen mochte, es würde einiges mehr abbekommen, als es erwartete.
Wieder wandte sie sich zur Tür um. Jedes Mal, wenn sie in diese Richtung schaute, spürte sie dasselbe namenlose Grauen. Ihr Blick wanderte durchs Zimmer. Die Gefahr war förmlich mit Händen zu greifen, aber sie konnte die Quelle nicht ausmachen.
Raus hier, Natalya ! Du musst fort von hier. Durch das Fenster kannst du es schaffen. Schütz deine Augen und sieh zu, dass du wegkommst!
Es ist nicht hinter mir her, sondern hinter dir. Sie war ganz sicher, dass sie recht hatte, obwohl sie nicht einmal wusste, was sie bedrohte.
Sie ging zum Bett zurück und stellte sich zwischen Vikirnoff und die Tür. Ihre Hände malten ein kompliziertes Muster in die Luft, und ihre Stimme murmelte eine uralte Enttarnungsformel. Welches Wesen den Jäger auch verfolgte, es tarnte sich, und es musste gewusst haben, wie sich der unsichtbare Schutzschild vor der Tür überwinden ließ. Sie wollte lieber nicht daran denken, was das bedeuten könnte.
Vikirnoff beobachtete Natalya unter halb geschlossenen Lidern. Obwohl der Raum verdunkelt war, brannten seine Augen, aber er konnte den Blick nicht von ihr wenden. Natalya schien zu glühen. Macht ging von ihr aus und umgab sie wie ein Strahlenkranz. Die Luft knisterte vor Elektrizität. Natalyas Haare wogten und flossen um sie herum, während sie ihre Hände nach vorn stemmte und unablässig leise Beschwörungen murmelte.
Plötzlich war ein Schimmern im Raum zu sehen, ein gebeugter, durchsichtiger Schatten, der über den Boden kroch. Natalya konnte nur mit großer Mühe erkennen, wie er sich Stück für Stück näher ans Bett heranschob. Der Schatten bestand aus wabernden schwarzen und grauen Rauchschwaden und wirkte völlig schwerelos. Einen Moment lang schien Natalyas Herz stillzustehen, um dann so heftig zu schlagen, dass sie Angst hatte, es würde ihr die Brust sprengen.
Vikirnoff! Das ist ein Schattenkrieger! Ehrfurcht lag ebenso in ihrer Stimme wie blankes Entsetzen. Lieber wollte sie gegen drei Vampire und eine Legion von Menschen antreten als gegen einen einzigen dieser gespenstischen Krieger!
Du musst hier weg!
Sie wollte auch weg von hier. Ihre Angst war so groß, dass sie an Panik grenzte. In deiner Verfassung kannst du einen Schattenkrieger nicht besiegen. Du könntest es nicht einmal, wenn du nicht so schwer verletzt wärst. Es ist heller Tag. Schon das Sonnenlicht macht dich mehr als angreifbar. Ich kann dich nicht wehrlos zurücklassen.
Hör zu, Natalya. Diese Wesen sind legendär. Ich kenne sie und ihre Fähigkeiten nur vom Hörensagen. Ich bin noch nie einem von ihnen begegnet.
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