Schatten der Wahrheit
dass der MedTech einen ausgezeichneten Wolf abgeben würde. Es gefiel ihr, wie er sich gegen die Angst sträubte. Und gute MedTechs waren immer von Wert.
Sie nippte an dem schweren Kristallglas, das auf dem breiten Rand der Wanne stand. Das war ein weiterer Vorteil ihres momentanen Quartiers: Sein vorheriger Eigentümer hatte einen guten Drink zu schätzen gewusst, und die Bar war von ausgezeichneter Qualität. Zwar kein terranischer Wodka, wie sie ihn bevorzugte, wenn sie ihn bekommen konnte, aber lokale Marken. Und inzwischen war sie zu dem Schluss gekommen, dass sich eine Eroberung Northwinds allein wegen der planetaren Destillen lohnte. Der bernsteinfarbene Whisky schmeckte nach Stahl und brennenden Balken, und das Etikett war in einer Sprache beschriftet, die sie nicht erkannte. Aber sie würde sich an den Namen erinnern, wenn sie diese Plattform verlassen und ganz Northwind plündern konnten.
Schritte in der Wohnkabine unterbrachen ihre Gedanken. Neben dem Whisky auf dem Rand der Wanne lag eine geladene Pistole. Sie hatte die Waffe in der Hand und zielte auf die Tür, bevor diese sich öffnete.
Beim Anblick des Mannes, der in der Tür stand, entspannte sie sich ein wenig. Es war Nicholas Dar-win, dessen unbestreitbar gut aussehende Präsenz hier ein weiterer Vorteil der eigenen Unterkunft auf dem Verwaltungsdeck der Station war. Sie senkte die Pistole jedoch nicht, sondern lächelte ihn über den Lauf an.
»Wärst du ein Feind, hätte ich dich noch in der Tür erschossen.«
»Wäre ich ein Feind«, erwiderte er ebenfalls lächelnd, »hätte ich auf der anderen Seite der Tür gewartet und dich umgebracht, wenn du aus dem Bad gekommen wärst.«
Sie lachte und senkte die Waffe. »Aber da du kein Feind bist, fiel dir das Warten zu schwer?«
»Der Anblick eines bewaffneten und gefährlichen Galaxiscommanders in der Badewanne ist ein zu seltenes Privileg, um darauf zu verzichten.«
»Man sollte nie auf einen Vorteil verzichten, wenn er sich bietet.« Sie stand mit einer geschmeidigen Bewegung auf, ohne die Pistole beiseite zu legen. Die Bewegung hätte ungelenk wirken können, und Anastasia war eitel genug, sich darüber zu freuen, dass dem nicht so war. Und die Wirkung auf Nicholas Darwin, als er Wasser und Badeschaum von ihrem bloßen Körper rinnen sah, erfüllte ihre schönsten Erwartungen. »Mir gefällt, wie du denkst. Bring den Whisky mit und komm ins Bett.«
Sie ging an ihm vorbei. Er folgte. Als sie sich umdrehte, sah sie, dass er nicht nur die Whiskyflasche und ein leeres Glas mitgebracht hatte, sondern auch ein Badetuch.
Sie hob eine Braue. »Wozu das Handtuch?«
Er stellte die Flasche und das Glas auf ihren Nachttisch, dann faltete er das Badetuch auseinander. »Ein Manöver von beiderseitigem Vorteil«, erklärte er. »Du brauchst dich nicht über Bettwäsche zu ärgern, die von Seifenwasser durchnässt ist... und ich kann deinen ganzen Körper abtasten.«
»Ein guter Plan.« Sie legte die Pistole neben den Whisky auf den Nachttisch. »Er gefällt mir.«
Es gefiel ihr sogar ganz ungemein, wie sich herausstellte. Es war ein Glück, dass außer dem Med-Tech Ian Murchison niemand mehr auf diesem Deck wohnte, und sein Quartier lag am anderen Ende der Station. Dadurch war er zu weit entfernt, um das meiste zu hören, und was die Geräusche betraf, die er möglicherweise doch mitbekam... Nun, es war unwahrscheinlich, dass er jemandem davon erzählte.
Einige Zeit später lag sie glücklich und erschöpft auf dem Bett, den Kopf auf Nicholas Darwins Schulter, und beobachtete das Spiel von Licht und Farben auf der Decke der Kabine. Sie ergab sich einem kurzen, angenehmen Moment frei von Gedanken an Rang, Position oder Machtkämpfe. Solche Augenblicke hielten nie lange an, aber einer der Vorteile eines regelmäßigen Bettgefährten lag darin, dass sie überhaupt möglich wurden.
Es hing ein Bild an der Decke, ein auswechselbares elektronisches Poster, das in der schwachen Beleuchtung sanft glänzte. Sie schloss aus seiner Existenz, dass die Neigung des ehemaligen Managers zum Luxus sich nicht aufs Sexuelle erstreckte, sonst hätte er dort oben stattdessen einen Spiegel angebracht - oder zumindest Bilder von einer gewissen inspirierenden Qualität, statt wechselnder Landschaftsmotive.
Sie wiederholte die Feststellung laut, mit träger, schläfriger Stimme. Darwin kicherte.
»Hatte er vielleicht nicht nötig.« Wenn er entspannt war, verlor seine Aussprache die clanübliche Präzision und näherte
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