Schatten der Wahrheit
wegzuwerfen, nur weil sie so dumm gewesen war, sich daran zu schneiden.
Sie schenkte sich ein Glas des starken Whiskys aus dem Vorrat des verstorbenen Plattformmanagers ein, dann setzte sie sich auf die Bettkante, ohne davon zu trinken. Nach einer Weile ertönten Schritte auf dem Flur. Sie erstarrte, dann entspannte sie sich. Nicholas Darwin trat ein.
Anastasia sah ihn wie zum ersten Mal: der kompakte, muskulöse Körper; die dunkle Haut, deren Glätte sie jedes Mal wieder angenehm überrascht hatte; die strahlend schwarzen Augen und der lachende Mund. Er war in so vieler Hinsicht der Beste ihrer Liebhaber gewesen und ihr in Temperament und Ausdauer ebenbürtig, bis auf einen einzigen Fehler...
Sie setzte das Whiskyglas ab, stand auf und begrüßte ihn mit einem Kuss.
»Wie sieht es auf den Landungsschiffen aus?«, fragte sie, und löste sich, bevor sich der Kuss in mehr verwandeln konnte. Mehr hätte Darwin abgelenkt, was gut gewesen wäre. Doch es hätte auch sie abgelenkt, und das wäre schlecht gewesen.
»Sie halten sich gut. Alle Modifikationen sind stabil, und die Kapitäne melden, dass sie jederzeit abheben können.«
»Gut.« Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn zum Bett. Dort drückte sie ihn mit der Schulter abwärts, damit er sich setzte. »Das reicht als Zusammenfassung. Die Einzelheiten können wir später besprechen.«
Anastasia kniete sich neben Nicholas aufs Bett, die Arme um seinen Leib geschlungen, den Mund dicht an seinem Hals. Sie spielte mit dem Kragenknopf seines Hemds. Es war ein Clan-Uniformhemd für warme Klimabedingungen, aus leichtem, atmungsaktivem, aber reißfestem Stoff.
»Was tust du da?«, fragte er. Er klang amüsiert. Seine Stimme war warm und erwartungsvoll.
»Ich packe dich aus«, antwortete sie.
Sie hatte den Kragenknopf geöffnet und machte sich mit spielerischen, kitzelnden Fingerbewegungen an den nächsten Knopf. Gleichzeitig knabberte sie ihm am Ohrläppchen, Sie flüsterte: »Ich kann nicht spielen, solange noch alles eingepackt ist.«
Sie löste den dritten Knopf, dann den vierten, und fuhr mit den Fingernägeln der linken Hand über die bloße Haut unter dem Stoff. Mit der Zunge kitzelte sie die obere Krümmung seines Ohrs, was ihn überrascht und begeistert aufkeuchen ließ. Er hatte hübsche Ohren, dicht anliegend und nicht zu groß, und seine Haut schmeckte angenehm salzig.
Er lachte. »Du scheinst mich vermisst zu haben, während ich fort war.«
»Ja«, hauchte sie und hob die linke Hand an den Kragen des halb aufgeknöpften Hemds.
Mit einer blitzschnellen Bewegung riss sie es abwärts und fesselte seine Arme. Die rechte Hand hob ihren Dolch an seine Kehle, die Schneide auf die Halsschlagader gedrückt.
»Beweg dich nicht«, warnte sie ihn. »Denk nicht einmal daran, dich zu bewegen.«
»Was...«Er stockte, atmete unsicher ein. »Warum?«
»Wie lange arbeitest du schon für Jacob Bannson, Nicholas?«
Schweigen. Und es versetzte ihr einen Stich tief in die Eingeweide, dass er nicht einmal versuchte, es abzustreiten. Also musste er wissen, dass es Beweise gab, und dass sie vernichtend waren, falls sie irgendjemand jemals zu Gesicht bekam. Wie sie es getan hatte.
Sie verstärkte den Druck des Dolches minimal.
»Wie lange?«
»Vier Jahre.«
Vier Jahre... Schon lange, bevor sie nach Tigress gekommen war und Kai Radick herausgefordert hatte. Vermutlich hätte sie es als Trost betrachten können, dass Darwins Verrat nicht gegen sie persönlich gerichtet gewesen war. Aber in diesem Augenblick fühlte sie sich deshalb nicht sonderlich wohler.
»Warum?«
»Für das Geld. Bannson bezahlt seine Informanten gut.«
»Du hast die Stahlwölfe für Geld an Jacob Bannson verraten?« Ihr Dolch bewegte sich nicht. Sie legte ihre ganze Ungläubigkeit in die Stimme. »Was will ein Stahlwolfkrieger mit Geld?«
»Nichts.«
»Warum dann?«
»Weil man sich mit genug Geld aussuchen kann, was man sein will«, erklärte Darwin. »Wer man sein will. Ein Leben als Krieger bei Kai Radicks Stahlwölfen war besser als das als arbeitsloser Stadtstreicher in den Vier Städten. Aber eine echte Wahl war es nicht.«
»Wie meinst du das: Es war keine >echte Wahl«
Er seufzte leise. »Das verstehst du nicht.«
»Da hast du Recht«, sagte sie.
Sie zog den Dolch über seine Kehle und zerfetzte ihm mit einem Schnitt die Halsschlagader und die Luftröhre.
»Ich verstehe es nicht.«
Januar 3134, Winter
Nach der Begrüßung Einauge Jack Farrells am Raumhafen kehrten Ezekiel
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