Schatten Des Dschungels
laut zu diskutieren, denn hinter und vor uns sitzen Leute. Ich halte mein Pad nahe bei mir. Heute noch muss ich den Behörden diese Daten übergeben – dem Robert-Koch-Institut, dem Gesundheitsamt, keine Ahnung, wer dafür zuständig ist. Wir haben viel zu lange gewartet und viel zu viel Zeit verschwendet, ich kapiere selbst nicht mehr, was ich mir dabei gedacht habe.
So gerne ich meine Familie wiedersehen würde, dafür ist später noch genug Zeit. Meine Eltern werden mir wahrscheinlich ein Jahr Hausarrest verpassen, aber als es darauf ankam, haben sie mich nicht im Stich gelassen und mir sofort Geld für das Flugticket überwiesen. Sie werden zu mir halten, ganz sicher, immerhin habe ich mich losgesagt von allem, was mit Falk und Living Earth zu tun hat.
Meine Finger gleiten über die eingeblendete Tastatur.
Wie konnte das passieren, Falk? Habt ihr das bei eurem Plan nicht bedacht – und warum habt ihr nicht gleich ein Gegenmittel entwickelt? Das war dumm und fahrlässig und – ja –skrupellos war es auch. Sind dir deine Prinzipien wirklich wichtiger als Menschenleben?
München Hauptbahnhof, die Endhaltestelle. Es ist angenehm, dass die Klamotten in Deutschland nicht so auf der Haut kleben wie in Guyana und Venezuela. »Die Luft schmeckt ganz anders hier«, sagt Andy.
»Ja«, sage ich apathisch. »Nach Abgasen.« Zwar haben viele Autos inzwischen einen Elektromotor, aber mindestens die Hälfte verbrennt noch Benzin oder Diesel.
Mühsam sammele ich meine Gedanken. »Kennst du ein Internetcafé, in dem nicht so viel los ist? Von dem aus ich Kontakt zu den Behörden aufnehmen kann?«
Andy nickt. Wir reihen uns in den Strom der Menschen ein, die sich zur U-Bahn hinabtragen lassen und im Untergeschoss durcheinanderwimmeln. Ich achte kaum darauf, wohin er vorangeht, weil ich ständig den Tränen nahe bin. Der Gedanke, was wir getan haben, bohrt sich in mein Herz wie ein Messer. Unsere Schuld. All das. Wie viele Menschen leiden jetzt wegen uns, wie viele wird es noch treffen? Ich sitze in der U-Bahn und starre einfach nur auf den Boden, ohne irgendetwas zu sehen. Ohne Andy hätte ich es nicht geschafft, am Sendlinger Tor auszusteigen. Er zieht mich aus der Bahn und sagt besorgt meinen Namen, immer wieder, bis ich ihm wenigstens das Gesicht zuwende. Erst als wir an die Oberfläche kommen, kehren meine Lebensgeister kurz zurück. Außerdem werde ich nervös. Jetzt ist es so weit, ich muss Klartext reden zum Thema Last Hope.
Über das Netz des Cafés kann man auch telefonieren; es gibt bequeme Sprech-Lounges mit Cafétischchen, die durch einen unsichtbaren Vorhang aus weißem Rauschen gegen fremde Ohren abgeschirmt sind. Ich lasse mir die Nummer des Gesundheitsamts München heraussuchen und eine Nur-Ton-Verbindung herstellen, mein Gesicht brauchen sie nicht zu sehen.
Eine Computerstimme teilt mir freundlich mit: »Sie haben die Nummer des Gesundheitsamts gewählt. Haben Sie eine Frage zu unseren Angeboten? Dann drücken Sie die Eins …«
Es dauert eine Ewigkeit, bis ich einen lebenden Menschen am Telefon habe, irgendeine Sachbearbeiterin. Es kostet mich etwas Mühe, meinen Namen nicht zu nennen – er geht einem so automatisch über die Lippen, wenn man sich meldet. »Würden Sie mich bitte mit dem Leiter des Gesundheitsamts verbinden?«
»In welcher Angelegenheit? Haben Sie einen Gesprächstermin?«
»Nein, einen Termin habe ich nicht, aber es geht um sehr wichtige Informationen.«
»Das tut mir sehr leid, Dr. Roers ist gerade außer Haus und erst übermorgen zurück. Soll ich ihm etwas ausrichten? Wenn Sie mir Ihren Namen und Ihre Nummer geben …«
Na toll. Mir wird klar, dass ich so nicht weiterkomme. »Es geht um den Ausbruch des Hautpilzes. Ich weiß etwas darüber, woher die Infektion stammt.«
Ein kurzes Schweigen am anderen Ende der Leitung. Als die Frau sich wieder meldet, hat sich ihre Stimme verändert, ist vorsichtig geworden. »Moment, ich verbinde.«
»Pohlmann«, meldet sich jemand anders. Eine knappe, geschäftsmäßige Männerstimme. »Sie haben aus erster Hand Informationen über die Infektion?«
»Ja. Durch Zufall habe ich erfahren, woher die Krankheit stammt – sie ist die Variante eines Hautpilzes, der bei Amphibien vorkommt.«
Er klingt zurückhaltend. »Ja, genau. Das hat die Presse gerade gemeldet.«
Oh. Einen Moment lang komme ich aus dem Konzept. »Die Krankheit ist nicht natürlich entstanden, sondern in einem Labor erzeugt worden. Sie ist das Produkt von
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