Schatten Des Dschungels
katastrophal schlechte Idee.
Wieder einmal hat sich Falk in meinem Kopf breitgemacht, ich kann es nicht verhindern. Noch immer schlägt mein Herz schneller, wenn ich an ihn denke – wie viele Wochen, Monate, Jahre wird es dauern, bis das irgendwann aufhört?
Als ich Andy nach draußen folge, weiß ich noch nicht, ob und wie ich ihm sagen soll, was passiert ist. Aber schnell wird mir klar, dass ich keine Wahl habe. Tue ich es nicht, dann ist das Vertrauen, das wir mühsam zueinander aufgebaut haben, hinüber – und diesmal für immer.
Inzwischen kennen wir uns so gut, dass er es sowieso spürt, wenn irgendetwas los ist. »Schlechte Nachrichten?«, fragt er mit einem besorgten Seitenblick.
»Ich habe versehentlich an Falk geschrieben«, gestehe ich.
Andy starrt mich fassungslos an. »Du hast was ? Etwa diesen ewig langen Brief?«
»Ähm, ja. Mein Pad hat sich automatisch ins Netz eingeklinkt, alles ging ziemlich schnell …«
»Na toll. Dann weiß er allerspätestens jetzt, dass wir zusammen reisen und dass du in München bist, oder? Stand das drin?«
»Fürchte schon«, muss ich zugeben. »Aber er kann das natürlich nur lesen, wenn er sich nicht angesteckt hat. Sonst ist er garantiert nicht aus Guyana rausgekommen.« An die andere Möglichkeit, dass Falk vielleicht tot ist, mag ich nicht denken, ich zwinge sie sofort aus meinem Kopf. Es macht mich sowieso fertig, dass ich so überhaupt nichts darüber weiß, wie es ihm, Lindy und den anderen ergangen ist.
Stattdessen versuche ich darüber nachzudenken, wie wir die Zeit bis zur Datenübergabe überstehen sollen. Was nun? Wohin jetzt? Anscheinend geht Andy etwas Ähnliches durch den Kopf, denn er kneift die Lippen zusammen. »Zu mir können wir nicht, und über Facebook können sie leicht rausfinden, mit wem ich in München befreundet bin.«
Mir ist kalt, mit dem T-Shirt aus Venezuela und der dünnen schwarzen Jacke bin ich nicht warm genug angezogen für einen Frühlingsabend im Voralpenland. Es ist ein unheimliches Gefühl, abgeschnitten zu sein von jeder Zuflucht. Ohne uns abzusprechen gehen Andy und ich wieder in Richtung U-Bahn. Im Kopf gehe ich meinen Freundeskreis durch, frage mich, wer gerade da sein könnte und wem ich vertrauen kann. Eloísa? Würde sich irre freuen, mich zu sehen, kann aber nicht besonders gut Geheimnisse bewahren. Außerdem bin ich bei ihr viel zu leicht aufzuspüren. Sämtliche Freunde mit Verbindungen zur Umweltschützerszene fallen ebenfalls aus und das sind ziemlich viele. Jaromir oder Chad aus der Schule, mit denen ich schon in ein paar AGs war? Frau Foersch, meine alte Lieblingslehrerin aus der Waldschule? Nein, geht auch nicht, Falk weiß ja, dass ich in der Waldschule war.
Plötzlich hellt sich Andys Gesicht auf. »Moment mal … ja, das probieren wir aus«, murmelt er. Die Rolltreppe trägt uns zurück in die unterirdische Welt, in der es noch kühler ist. Vor uns sind eine Mutter und ihr etwa fünfjähriges Kind, es will sich am Gummihandlauf der Rolltreppe festhalten. Erschrocken reißt die Mutter es zurück: »Max! Nichts anfassen, das habe ich dir doch gesagt!«
Andy und ich steigen in eine U-Bahn Richtung Implerstraße. Einige Leute um uns herum tragen dünne Einweghandschuhe, ihr Gummigeruch steigt mir in die Nase. Manche Fahrgäste haben sich sogar mit einem Mundschutz ausstaffiert. So langsam wird mir mulmig zumute. So vieles fasst man den ganzen Tag über an – gedankenlos schließt man die Hand um Türklinken, betätigt Lichtschalter, drückt auf Aufzugknöpfe. Dabei könnte gerade hier am Bahnhof, wo täglich Tausende von Menschen vorbeikommen, der Hautpilz lauern. Am liebsten würde ich mir jetzt die Hände waschen, gleich mehrmals, mit so heißem Wasser, wie ich es nur aushalte, und jeder Menge Seife.
An der Poccistraße steigen wir aus.
»Jetzt hoffe ich mal, dass sie darauf nicht so leicht kommen«, murmelt Andy und klingelt an einem Mehrfamilienhaus in der Implerstraße 2, Diana Kurz steht auf dem Klingelschild, keine Ahnung, wer das sein könnte. Nervös schaue ich mich um, während wir darauf warten, dass der Türöffner summt. Zumindest auf den ersten Blick sieht es nicht so aus, als seien wir hierher verfolgt worden.
»Hoffentlich ist sie zu Hause«, murmelt Andy und trommelt unruhig mit den Fingern auf die Tür.
Doch dann summt es schon und Andy sprintet hoch in den zweiten Stock, ich komme kaum hinterher. Stürmisch umarmt er eine alte Dame mit schulterlangen schneeweißen Haaren. »Und
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