Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schatten Des Dschungels

Schatten Des Dschungels

Titel: Schatten Des Dschungels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Brandis , Hans-Peter Ziemek
Vom Netzwerk:
ein, aber weder Andy noch ich achten darauf.
    Zu spät. Wir kommen zu spät.
    Die Krankheit ist längst vor uns eingetroffen.



Schuld
    Irgendwie schaffen wir es in den Zug; dort können wir uns über Terminals in den Sitzen endlich die Nachrichten herunterladen und erfahren, was geschehen ist. Vor knapp zwei Wochen, also gerade als ich aus dem Dschungel wieder aufgetaucht war, gab es die ersten Fälle in London und in einigen Städten Deutschlands – Gelsenkirchen, Dortmund, Konstanz, München.
    »In München«, flüstere ich. »Wieso dort? Und Konstanz? Gelsenkirchen? Wie ist das dort hingekommen?«
    »Anscheinend über eine Reisegruppe von Ökotouristen, die in Guyana waren.« Andy ist schon ein paar Zeilen weiter. »Aquarianer auf der Suche nach neuen Fischarten. Leute aus ganz Deutschland, und ein paar Engländer, deshalb ist’s auch in London.«
    Ökotouristen! Wer denkt denn an so was. Vielleicht waren sie in der Nähe des Mazaruni River und haben das Dorf besichtigt, in dem die Holzfäller leben. Die Holzfäller, die wir infiziert haben. Fast surreal kommt mir das jetzt vor, ich kann es selbst kaum glauben. Falk war das. Ich war das. Wir waren das. Natürlich wollten wir nicht, dass es so weit kommt, aber haben wir es nicht in Kauf genommen?
    Ich tippe ein Icon an, um mir das Experteninterview anzusehen. Der Epidemiologe Dr. Reuss vom Robert-Koch-Institut ist ein bärtiger Mann in mittleren Jahren, gelassen, mit klugen Augen. »Normalerweise verläuft eine Mykose langsam und chronisch«, erklärt er. »Doch in diesem Fall ist es anders, und wir sind verblüfft darüber, wie schnell sie sich ausbreitet. Außerdem ist der Pilz sehr aggressiv, einige Patienten schweben in Lebensgefahr. Zum Glück hat ein Land wie Deutschland immerhin weit höhere Hygienestandards als Guyana, wir hoffen, dass das Problem dadurch lokal begrenzt bleibt.«
    »Sie und Ihre Kollegen machen sicher Überstunden.«
    »Wir arbeiten fast rund um die Uhr, das gehört in diesem Beruf dazu. Zurzeit versuchen wir, die Übertragungswege zu klären. Gleichzeitig sind wir und andere Kollegen dabei, den genetischen Code des Hautpilzes zu entschlüsseln.«
    »Wie kann man verhindern, dass man sich ansteckt?«
    »Sehr wahrscheinlich gelangt der Erreger ähnlich wie beim Schnupfen von den Schleimhäuten auf die Hände und von dort aus auf Gegenstände, dadurch könnten sich andere Menschen infizieren. Wir empfehlen, sich häufig die Hände zu waschen und bei Gegenständen, die oft berührt werden, besonders auf die Hygiene zu achten. Auch eine Ausbreitung über Schwimmbäder, Saunen und Fitnesscenter ist möglich, deshalb empfehlen wir, solche Orte derzeit zu meiden.«
    Dann sitzen Andy und ich schweigend nebeneinander, während draußen verschwommen und grüngrau die Landschaft vorbeizieht. Ich fühle mich, als hätte ich gerade einen Bombenangriff überlebt; durcheinander und zittrig.
    »Ich hätte gleich anrufen sollen«, sage ich. »Sofort. Gleich als du mir das Handy gegeben hast.«
    »Vielleicht hätte auch das nichts mehr geändert. Anscheinend waren diese Ökotouristen da schon im Flugzeug und auf dem Weg zurück nach Europa.«
    »Wir hätten jemanden in Europa warnen können.«
    Andy stöhnt. »Macht’s dir eigentlich Spaß, dir selber den moralischen Knüppel auf den Schädel zu dreschen?«
    »Sorry«, sage ich und spüre, wie mir Tränen in die Augen steigen. »Du hast recht, das bringt nicht viel.«
    Wir vertiefen uns wieder in den Bericht. Inzwischen gibt es Kontrollen am Flughafen, ein Foto davon ist in den News: alle aus dem tropischen Südamerika kommenden Reisenden werden von Ärzten untersucht. Wir sind anscheinend durchgerutscht, vielleicht haben die Verantwortlichen noch nicht daran gedacht, dass auch einige wenige Menschen auf Schiffen den Ozean überqueren.
    Der allererste Patient in München war anscheinend ein Anwalt, Max N. Unabsichtlich hat er sein Bestes getan, den Hautpilz zu verbreiten. Nach seiner Rückkehr hat er erst einmal mit seiner Frau eine Party gegeben und am nächsten Tag in seiner Kanzlei ein halbes Dutzend Mandanten empfangen. Als er dann feststellte, dass er sich nicht wohlfühlte, ist er zum Arzt gegangen und hat dort über die Türklinke des Wartezimmers noch einmal jede Menge Leute angesteckt. Ein paar Tage später erst haben Fachleute erkannt, dass eine neue Krankheit umgeht, und ihr den Namen TIN gegeben, tinea irgendwas , aber manche sagen einfach Schwarzmundseuche.
    Wir wagen das alles nicht mehr

Weitere Kostenlose Bücher