Schatten Des Dschungels
dass er mich jetzt belügt – er hat mir zwar viel verschwiegen im Laufe der Zeit, aber Lügen, nein, das passt nicht zu ihm.
»Wann hast du die Schlagzeilen gesehen?«, frage ich Falk. Mir wird die Kehle eng, wenn ich an die verzweifelten Menschen denke, die ich in der Klinik gesehen habe.
»Auch gestern … und dann habe ich deine Mail gelesen.« Falk holt tief Luft. »Ganz ehrlich, es ist völlig uninteressant, wie es mir geht. Das ist jetzt wirklich egal.« Er sagt es ohne Selbstmitleid, und ich weiß, wie er es meint.
»Mir ist es nicht egal«, entfährt es mir, und plötzlich ist es, als breche ein Damm zwischen uns. Es ist, als wäre diese Katastrophe nie passiert. Wir gehen einen Schritt aufeinander zu, zwei Schritte, und dann bin ich in seinen Armen, drücke ich mein Gesicht in den rauen Stoff seines Hemdes, der so sehr nach ihm riecht, nach Rauch und Erde und Mann. Wir halten uns so fest, als hinge unser Leben davon ab. Falk küsst eine Träne von meinen Wangen, doch seine Augen sind ebenfalls feucht. »Ich war nicht mal sicher, ob du noch lebst«, flüstert er. »Das war das Schlimmste.«
»Mir ging es genauso«, murmele ich. So lange habe ich mich irgendwie beherrscht, alles irgendwie bewältigt, alle Rückschläge eingesteckt – aber jetzt bricht alles aus mir heraus, all die Trauer, all die Angst. Das Schluchzen schüttelt meinen ganzen Körper, ich kann es nicht verhindern und versuche es auch gar nicht erst.
Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis ich mich wieder beruhigt habe. Schließlich setzen wir uns auf einen umgestürzten Baumstamm. Noch immer hält Falk meine Hand, und das fühlt sich unglaublich gut an. Wenn er nicht mal wusste, dass ich noch lebe … dann hat er weder mit den Verfolgern, die mir in Caracas auf der Spur waren, noch mit diesen Angriffen in München etwas zu tun! Aber wer zum Teufel war es dann? Ich habe nicht die blasseste Ahnung.
Doch darüber können wir später noch sprechen, etwas anderes ist wichtiger. »Gibt es denn etwas, was wir gegen diese Krankheit tun können?«, frage ich. »Irgendetwas? Wir müssen den Menschen helfen, und zwar schnell! Ich weiß nicht, wie viele Leute schon infiziert sind, ich weiß nur, es werden immer mehr.«
Falk nickt. »Pancake hat mir versprochen, dass er sofort mit dem Robert-Koch-Institut Kontakt aufnimmt und denen alle nötigen Informationen schickt. Das ist, fürchte ich, schon alles, was wir machen können.« Seine Stimme klingt heiser. »Pan selbst kann auf die Schnelle kein maßgeschneidertes Gegenmittel entwickeln, so was dauert Monate. Du hattest recht, wir hätten das gleich machen sollen, es war unglaublich dumm, das nicht zu tun.«
»Ich habe schon mit dem Gesundheitsamt hier in München gesprochen«, berichte ich. »Heute übergebe ich ihnen eine DVD mit Daten über die Krankheit.«
»Die von Pancakes Computer?«, fragt Falk, und als ich nicke, meint er: »Gute Idee. Je mehr Infos wir in die richtigen Kanäle schicken, desto besser.«
Wir schweigen einen Moment, weil gerade wieder mal ein Mountainbiker auf dem Uferweg vorbeiprescht. Zum Glück ist er einer dieser durchgestylten Halbprofis, die gucken nicht nach rechts und links, für die ist der Wald wenig mehr als eine Hindernisbahn.
Ich öffne den Mund, um Falk davon zu erzählen, dass ich seit meiner Flucht verfolgt worden bin, aber plötzlich hebt er den Kopf und lauscht. Fast im selben Moment bemerke ich es auch – das Zischen von Fahrradreifen auf feuchtem Asphalt, da kommt noch jemand. Und dieser Jemand fährt deutlich langsamer. Ich überlege, ob wir hinter den Baumstamm abtauchen sollen, aber das wirkt wahrscheinlich noch verdächtiger als zwei Leute, die einfach im Wald sitzen. Falk rührt sich nicht und ich folge seinem Beispiel.
Wir sitzen keine zehn Meter vom Uferweg entfernt und so erkenne ich Andy sofort an seiner blau-schwarzen Jacke und dem dunklen Haarschopf. Er lenkt mit einem Arm.Mist, was macht der denn hier! Ich habe ihm doch ausdrücklich gesagt, dass ich Falk alleine treffen will!
Andy ist an uns vorbeigeradelt, ich will schon aufatmen … doch anscheinend hat er irgendetwas gesehen, denn ein paar Meter weiter hält er an und kehrt um. Auf den zweiten Blick entdeckt er uns dann wirklich, springt von seinem Rad und lässt es einfach fallen, der Rahmen knallt auf den Asphalt. Er läuft mit schnellen Schritten auf uns zu. Alarmiert stehen Falk und ich auf, unsere Hände gleiten auseinander; dann ist Andy bei uns angekommen. Seine Augen sind wild
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