Schatten Des Dschungels
in einen davon geht Andy jetzt. Ich folge ihm.
Ein junger Verkäufer, der die Figur eines Nilpferds hat, begrüßt Andy mit Handschlag. Wie so viele Leute zurzeit trägt er dünne Latexhandschuhe. »Na, was geht, Mann? Alles easy?« Er hat die dunklen Haare mit Gel zurückgekämmt, trägt diese Nikes mit echtem Blattgold und ein T-Shirt mit eingewebten Schaltkreisen. Winzige Lichtpunkte scheinen durch die Leitungen zu jagen, nachts sieht das wahrscheinlich total cool aus.
»Alles easy«, bestätigt Andy. »Sag mal, Yasin, hat dir zufällig jemand ’ne DVD für mich gegeben?«
»Ja, Mann, das war so ’ne alte Lady, die hat gesagt, sie hat was für einen Herrn Waldschmidt, Mann, ich lag ja vor Lachen fast auf dem Boden. Herr Waldschmidt! Ich musst echt ’n Moment nachdenken, bevor mir einfiel, wer das ist.«
Gott sei Dank, es hat geklappt. Diana hat uns nicht im Stich gelassen. Weil Andy jetzt meint: »Hör mal, Yasin, ich bräuchte einen Tipp, wie man mit Triple Chain verschlüsselte Dateien knackt«, und die beiden tief in eine Fachsimpelei versinken, mische ich mich kurz ein: »Hey, kann ich bei euch mal kurz in meine Mails schauen?« Ich muss dringend wissen, ob Falk geantwortet hat.
»Aber klar doch, Süße«, sagt das Nilpferd, lächelt mich ganz lieb an und zeigt mir im Hinterzimmer das modernste Holopad, das ich jemals gesehen habe. Die Icons scheinen vor mir zu schweben, ich kann sie mit der Hand greifen und öffnen. Nach ein paar Minuten habe ich es endlich geschafft, an meine Mails dranzukommen – und ein Stromstoß durchfährt mich.
Da ist eine Mail von Falk. Abgeschickt heute um halb acht. Jetzt ist es Viertel nach neun.
Ich hampele so wild mit den Fingern in der Luft herum, dass ich die Nachricht beinahe vor Aufregung lösche. Doch dann habe ich sie endlich offen.
Cat,
du hattest recht. Aber noch gibt es hoffnung. Las uns reden.
Ich bin heute um 11 Uhr an der Isar.
F.
Si vis amari, ama.
Eine volle Minute lang sitze ich einfach nur da und starre diese Zeilen an. Es fühlt sich an, als würde ich von einem Wildwasserstrom mitgerissen, er wirbelt mich herum, bis mir schwindelig wird.
Falk lebt. Er lebt! Er ist hier in München. Er will mich sehen! Heute noch könnte ich Falk wiedersehen …
»He, ist die versteinert oder was?« Yasin. Dann Andys Hand auf meiner Schulter, seine besorgte Stimme. »Alles klar, Cat?«
Er steht direkt hinter mir, und ich weiß, dass er die Mail jetzt sehen kann, sie steht in leuchtenden Buchstaben mitten in der Luft vor mir. Ich versuche nicht, sie wegzuklicken. Dass Andy die Nachricht gelesen hat, spüre ich an der Art, wie seine Hand sich plötzlich auf meiner Schulter verkrampft.
»Holy Shit«, sagt Andy. »Das ist die totale Frechheit!«
Das löst mich aus meiner Erstarrung. »Wieso Frechheit?«
»Er denkt wirklich, du würdest dich mit ihm treffen, nach all dem, was passiert ist! Ich fasse es nicht! Dieser Typ ist dafür verantwortlich, dass du durch vier verschiedene Länder fliehen musstest, und jetzt denkt er, du kommst einfach so zu ihm …«
Stimmt. Ich muss mir nur Andys verbundenen Arm ansehen, um zu wissen, wie gefährlich diese Flucht für uns beide war. Und noch immer sind meine Beine und Arme voller kleiner heller Narben, die von Dornen stammen. Alles spricht dafür, dass dies einfach eine Falle ist. Und doch … Falk hat gelesen, was ich ihm geschrieben habe, all diese Vorwürfe, all die harten Worte. Aber er hat mir keine lange, hitzige Mail zurückgeschrieben, um sich zu rechtfertigen, sondern nur dieses einfache Du hattest recht .
Und wieder einmal hat er es geschafft. Meine Wut ist weg und zurück bleibt nur die Sehnsucht. Es zieht mich so stark zu ihm hin, als seien wir durch einen unsichtbaren Strang verbunden, stark wie ein Ankertau der Columbo Dragonfly . Falk verspricht mir nichts, fordert nichts. Schlägt nur dieses eine vor: »Lass uns reden.« Wie kann ich das ablehnen, wenn es doch das ist, was ich mir mehr als alles andere wünsche?
Ein paar Kunden sind hereingekommen, ein Junge und zwei Männer mittleren Alters; Yasin watschelt in den vorderen Raum, um sie zu bedienen. Aber Andy steht noch immer neben mir und schüttelt empört den Kopf. »Wie mir scheint, hat Falk es immer noch nicht kapiert. ›Aber noch gibt es Hoffnung‹ – das soll ja wohl sagen, dass es mit Last Hope weitergeht, dass er das Projekt noch nicht aufgegeben hat!«
»Man kann das auf ganz verschiedene Arten interpretieren.« Ohne dass ich es will, ist
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