Schatten Des Dschungels
dafür ist es fast dunkel, ich sehe die Pekaris kaum noch – bloß meine Leuchtkäferlampe, die ein paar Meter weiter umgekippt auf dem Boden liegt, spendet ein wenig Helligkeit. Ab und zu erblicke ich die Silhouette eines schmalen Pekarikörpers, beleuchtet das Licht flinke Klauenhufe.
Immer wenn ich ein Rascheln im Laub höre, schlage ich mit der Machete um mich, hin und wieder spüre ich, wie die Klinge auf einen Körper prallt, und höre das schrille Quieken und Knurren eines Pekaris. Es scheint sie nicht abzuschrecken, dass ich sie jetzt verletzen kann. Hauer schlagen sich in der Dunkelheit in meinen knöchelhohen Trekkingstiefel, diesmal bin ich es, die aufschreit. Ich lasse die Machete niedersausen und mein Fuß ist wieder frei. Weh tut er nicht, anscheinend hat das Schwein nur mein Schuhwerk geschreddert, aber auch das ist eine Katastrophe. Im Dschungel gibt es keinen Ersatz dafür.
Weiter hinten erklingt ein Rascheln, Knacken und Schmatzen, sie haben es wohl geschafft, an die Früchte heranzukommen. Jetzt feiern sie ein Festmahl und lassen wahrscheinlich nicht mal ein paar Schalen übrig. Mir kommen fast die Tränen bei dem Gedanken.
Irgendwann wird es wieder still um mich herum. Die Pekaris sind abgezogen. Ich kauere mich in meine Nische und warte darauf, dass es hell wird. Einzuschlafen wage ich nicht mehr, inzwischen traue ich diesen Schweinen alles zu, auch einen unerwarteten Überfall.
Unendlich lange dauert es, bis die Sonne endlich aufgeht. Im fahlen ersten Licht erkenne ich zwei reglose Körper auf dem Laub, diese Pekaris haben ihre Verletzungen nicht überlebt. Ha! Geschieht ihnen recht. Es widert mich an, was ich jetzt tun muss, aber ich beeile mich trotzdem, diese Beute darf ich nicht den Ameisen überlassen. Mit dem Taschenmesser schlitze ich den Pekaris den Bauch auf. Zuerst versuche ich mit einem Stock, die Eingeweide herauszuholen, aber das klappt nicht besonders gut und schließlich muss ich doch die Hände zu Hilfe nehmen. Jetzt sind meine Finger rot verschmiert, und als ich sie voll Ekel anstarre, merke ich, wie mir schwindelig wird. Ich hasse den Anblick von Blut. Als Ju früher einmal von der Schaukel gefallen ist und am Kopf blutete, mussten meine Eltern ein ohnmächtiges Mädchen ins Haus schleppen. Einfach so umgekippt. Nicht Ju, wohlgemerkt, sondern ich.
Aber diesmal muss ich irgendwie da durch. Mir ist total schlecht, aber ich säbele trotzdem an den Pekaris herum, bis ich ein paar Brocken Fleisch habe. Das ist essbar, du musst es essen, sage ich mir immer wieder, aber mir wird nur noch übler. War Falk jemals in so einer Situation, was hätte er getan? Vermutlich hätte er nicht lange gezögert, schließlich hat er sogar schon überfahrene Anakonda probiert.
Ich schaffe es trotzdem nicht, die Zähne in das rohe Fleisch hineinzuschlagen. Noch habe ich ein paar Früchte im Bauch, mein Hunger ist gerade nicht groß genug. Und wer weiß, was diese Pekaris alles für innere Parasiten mit sich herumtragen. Wenn ich doch wenigstens ein Feuer hätte, dann könnte ich das Zeug braten oder räuchern. So weiß ich genau, dass die wertvolle Nahrung innerhalb von ein paar Stunden verdorben sein wird, schon jetzt versuchen Fliegen, darauf ihre Eier abzulegen. Ich bin nur noch damit beschäftigt, sie zu verscheuchen. »Wie zum Teufel soll ich dieses Zeug konservieren?«, frage ich Sam verzweifelt.
»Tiefkühler«, schlägt er vor und feixt.
»Haha. Wenn deine Vorschläge nicht besser werden, schalte ich dich ab, Grünling.«
»Einlegen. Räuchern. Pökeln. Dörren …«
»Dörren!« Klingt machbar. Aber nicht in der warmen feuchten Luft unter dem Kronendach. Ich muss einen Ort im Erdgeschoss des Waldes finden, an dem genug Sonnenlicht auf den Boden fällt. Also flechte ich mir einen neuen Rucksack, wickele das Fleisch in ein paar große Blätter und ziehe wieder los. Mein von den Pekaris aufgeschlitzter Stiefel schlappt und bremst mich. Notdürftig wickele ich dünne Lianen darum, damit er nicht auseinanderfällt. Wie weit komme ich denn überhaupt noch, wenn ich nicht mehr richtig laufen kann?
Am Nachmittag wird das Gestrüpp dichter, ich komme nur noch mit der Machete durch. Meine Lebensgeister erwachen wieder, weil ich ahne, was das bedeutet. Doch inzwischen bin ich so schwach, dass ich alle paar Minuten Pause machen und mich hinsetzen muss, sonst macht mein Kreislauf schlapp und ich kippe um.
Kurz darauf stehe ich am Ufer eines kleinen Flusses. Ist das schon der Cuyuni River?
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