Schatten Des Dschungels
Nein, der müsste deutlich größer sein. Auf jeden Fall sehen die Sandbänke paradiesisch aus, fast wie Urlaubsstrände, ich kann es kaum erwarten, meine bleiche Haut in die Sonne zu halten und ins Wasser zu springen. Aber erst muss ich mich um das Fleisch kümmern. Ich schneide es mit dem Taschenmesser in dünne Streifen und breite diese über einen Stein, auf den schon seit Stunden die Tropensonne knallt. Daheim in München haben wir immer Witze darüber gemacht, dass man auf solchen Steinen Spiegeleier braten könnte. Wird Zeit, mal etwas Ähnliches auszuprobieren.
Als ich fertig bin, ziehe ich mich aus, benutze das Marmeladenglas zum Wasserschöpfen und wasche mir sorgfältig alles Blut ab, bevor ich in den Fluss gehe – ich habe Falks Piranha-Warnung noch nicht vergessen. Die beiden Geschwüre sind größer geworden und in der Mitte scheint sich irgendetwas unter der Haut zu bewegen. Ich habe mir zwar nicht Pancakes Designerkrankheit, dafür aber irgendeinen widerlichen Tropenparasiten eingefangen, na prima. Und es gibt nichts, was ich dagegen tun kann.
Erst der Gedanke, jetzt endlich meine Klamotten und mich selbst waschen zu können, heitert mich wieder etwas auf. Selbst die angeblich selbstreinigenden Silbersocken, die meine Mutter mir geschenkt hat, riechen mittlerweile ziemlich streng. Doch noch während ich meine Sachen ausspüle und über einen Felsen breite, merke ich, dass die wunderschönen Sandbänke in Wirklichkeit der mieseste Ort sind, an dem ich mich bisher aufgehalten habe. Auf dem Sand attackieren mich winzige stechende Wesen, es müssen Hunderte sein. Ich flüchte mich ins Wasser und bekomme einen Riesenschreck, als vor meinen Füßen ein im Sand versteckter Stachelrochen aufschwimmt. Wäre ich auf den getreten, dann hätte er mich übel verletzen können.
Als ich mich umdrehe, um Sam davon zu erzählen, fällt mein Blick auf das gegenüberliegende Ufer und spontan stoße ich einen Freudenschrei aus. »Was ist?«, quäkt Sam, den ich in der Nähe meiner Klamotten auf einen Stein gelegt habe. Ich habe ihn absichtlich so hingelegt, dass sein Kameraauge nach oben blickt, es hätte gerade noch gefehlt, dass er ein paar Fotos von mir beim Nacktbaden abspeichert.
»Das ist eine Bananenstaude, die kenne ich aus dem botanischen Garten – vielleicht sind Früchte dran«, jubele ich und schlurfe mit letzter Kraft ins Wasser, immer auf der Hut vor den Stachelrochen. Selbst wenn nur knallgrüne Bananen dran sind, macht das nichts – unsere in Kamarang gekauften Bananen waren auch grün und trotzdem essbar. Wenn ich es schaffe, diese Bananen zu ernten und vor den Pekaris zu schützen, dann kann ich damit vielleicht eine Woche oder länger auskommen!
»Sei vorsichtig«, hallt mir Sams Stimme nach, seit wann ist er denn so gluckig?
Der kleine Fluss ist zwar nicht tief, aber trübe, voll aufgewirbeltem Schlamm. Es fühlt sich nicht sonderlich gut an, ihn zu durchschwimmen. Auf einmal spüre ich ein seltsames Kribbeln an den Beinen, keine Ahnung, was das sein könnte. Aber etwas Gutes bedeutet es garantiert nicht. Instinktiv kehre ich um, schwimme zurück … doch da durchfährt mich schon der Schmerz, ich spüre, dass meine Beine wild zucken und zappeln.
Und dann liege ich plötzlich auf einem steinigen Teil des Ufers und weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist und wie ich dorthin gekommen bin. Mir ist schwindelig. Als ich versuche, mich zu bewegen, regt sich nur meine Hand ein wenig. Meine Haare hängen mir in die Stirn wie Seetang. Ich muss husten, aus meinem Mund und meiner Nase läuft Wasser. Fast ertrunken. Aber wieso? Hat sich angefühlt wie ein Kurzschluss in meinem Körper … Kurzschluss … Moment mal. Südamerika. Elektrische Fische! Verdammt. Muss einem zu nah gekommen sein.
Lange bleibe ich so liegen, dann versuche ich mich noch einmal hochzustemmen. Ich schaffe es nicht. Ständig wird mir schwarz vor Augen. Mein Gesicht ist feucht, ich weiß nicht, ob durch Flusswasser oder Tränen. Es ist egal.
»Cat!«
Jemand blickt auf mich herab: Es ist Falks Gesicht, das über mir schwebt. Verwirrt starre ich ihn an, frage mich, wie er mich hier gefunden hat. Seine Miene ist sehr ernst, aber es ist keine Wut in seinen grauen Augen. Er sagt nicht, dass dies hier meine gerechte Strafe sei … hat er mir verziehen? Meine Augen füllen sich mit Tränen und sein Gesicht verschwimmt. Ich kämpfe darum, nicht wegzusacken in die Dunkelheit, spanne jeden Muskel meines Körpers an, um die Hand nach ihm
Weitere Kostenlose Bücher