Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
Wiederholung. Er entsann sich, wie großmäulig Ossi aufgetreten war, wie er den Eroberer aller Frauen herausgekehrt hatte, wie abstoßend er auf Anne gewirkt hatte und gewiss auch auf Ines.
Kaum dachte er an Ossi, arbeitete es wieder in ihm. Aber er hatte doch alles getan, um die Sache zu klären. Und die Sache war geklärt. Ossi hatte sich selbst umgebracht. Doch er hatte dies auf merkwürdige Weise getan. Tramal und ein Insulinspray, das man noch nicht kaufen konnte. Wo hatte er das Zeug her? Und warum hatte er sich auf diese seltsame Weise umgebracht? War es sein letzter Triumph? Schaut her, selbst mein Abgang ist einzigartig. Ihr könnt es mir nicht mal nachmachen, weil ihr dieses Spray nicht kriegt. Aber ich habe es.
Je länger Stachelmann darüber nachdachte, desto merkwürdiger erschien es ihm. Nein, diese Methode passte nicht zu Ossi. Stachelmann hätte nicht genau erklären können, was daran nicht passte, aber er war sich sicher. Die Methode hatte ihn schon von Anfang an verwirrt, nur hatten andere Indizien die Verwirrung überdeckt. Da hatte es stärkere Hinweise gegeben auf Motive und Täter. Aber jetzt, da diese Hinweise ihn ins Leere geführt hatten, jetzt, da die Luft entwichen war aus den Truggebilden, begriff er endlich etwas, das er längst gesehen hatte.
Er schloss die Augen und schimpfte leise vor sich hin. Begib dich nicht schon wieder auf einen Wahntrip. Der Fall ist abgehakt, Klappe zu, Affe tot. Stachelmann stand auf und lief umher in seinem Dienstzimmer. Wer hatte Zugang zu einem Präparat, das noch nicht im Handel war? Ärzte, Labors. Er dachte an Detmold. Aber dessen Alibi war betonfest. Hatte Ossi Kontakt zu einem anderen Arzt? Das hätte er Carmen längst fragen sollen. Aber er führte keine Ermittlung nach irgendeinem Plan, sondern hechelte jeder Spur hinterher, die sich mehr oder weniger zufällig ergab. Er dilettierte, was das Zeug hielt. Mal war er sicher, dann galt nichts mehr. Aber war es sein Beruf, der Polizei Ermittlungen abzunehmen? Gewiss nicht. Er dachte an den Holler-Fall und an Griesbach. Da war er doch auch mehr zum Ziel gestolpert, als dass er einer Richtung gefolgt wäre. Vielleicht ist Stolpern in manchen Fällen die einzig vernünftige Fortbewegungsweise.
Am Abend ging er zu Anne. Draußen war es lau. Er nahm sich vor, Anne die Sache mit Carmen zu gestehen. Die Sache, so konnte man es auch sagen. Aber eine Beziehung war es nicht gewesen. Sein Mut verließ ihn, als er die Treppen hochstieg. Felix' Lärmen drang durch die Wohnungstür nach draußen. Stachelmann zögerte, dann schloss er die Tür auf. Er trat in die Diele und lauschte, wo die beiden waren. Offenbar im Kinderzimmer, jedenfalls hörte er dort Annes Trost. Felix war hingefallen oder hatte sich etwas angeschlagen. Er linste ins Kinderzimmer. Anne saß auf dem Bett, Felix auf dem Schoß. Der Kleine nuckelte am Daumen und schien einzuschlafen. Anne hob ihren Kopf, lächelte Stachelmann zu und hielt den Finger an die Lippen. Dann legte sie Felix ins Bett, deckte ihn zu, strich ihm über die Haare und ging auf Stachelmann zu. Sie war glücklich, er sah es ihr an. Gleich fühlte er sich mies. Sie nahm ihn in den Arm, drückte und küsste ihn.
»Jetzt wird er eine Weile schlafen«, sagte sie.
Sie nahm seine Hand und zog ihn in die Küche. Gemeinsam deckten sie den Tisch, er zog den Korken aus einer Rotweinflasche, sie schnitt Brot. Als sie alles bereitet hatten, setzten sie sich.
»Was macht die Arbeit?«, fragte sie.
»Es wird.«
»Also warst du wieder auf Abwegen, im Kopf, meine ich.«
Er ließ sich Zeit mit der Antwort, aß, trank. »Ich frage mich, wer an dieses Zeug herankommt. Ein Spray, das es noch gar nicht gibt.«
»Ärzte, Leute aus der Pharmaindustrie ...«
»Ja, aber Ossi war Kommissar, der hatte doch nichts zu tun mit solchen Leuten.« Er staunte, sie ließ sich auf dieses Thema ein. Sie hatte seine Detektivspielerei diesmal abgelehnt, aber vor allem wohl, weil er nicht mitgefahren war in den Urlaub mit der Begründung, seine Habilschrift fertig stellen zu müssen, um dann einen Mörder zu jagen, wo es doch nicht einmal einen Mord gab. Offensichtlich hatte sie dieses Ärgernis abgehakt. Stachelmann wäre froh gewesen, er könnte Dinge einfach abhaken wie sie. Stattdessen quälte er sich ewig herum mit Kleinigkeiten.
Er schaute sie an. Sie überlegte, wie sich diese Frage beantworten ließ. Was war die Verbindung zwischen einem Kriminalpolizisten und einem Medikament, das man nicht kaufen
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