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Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Titel: Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian V Ditfurth
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und sagte: »Gleich.« Sie spielte mit einer Locke ihres kurz geschnittenen schwarzen Haars.
    Es dauerte eine Weile, weil noch das Telefon klingelte. Hinter Stachelmann öffnete sich die Praxistür, und eine alte Frau drängte sich an den Tresen. Die Sprechstundenhilfe übersah, dass die Frau aufgeregt winkte, und schaute endlich Stachelmann an. Der sagte, er wolle den Doktor sprechen. Das wollten hier alle, er möge ihr seine Versicherungskarte reichen, die Praxisgebühr bezahlen und sich im Wartezimmer einen Platz suchen, sofern noch einer frei sei.
    Stachelmann drehte sich um und verließ die Praxis. Die Sprechstundenhilfe hielt ihn nicht auf. Als er wieder in der Grabengasse stand, überlegte er. Ganz in der Nähe war eine Telefonzelle. Aber als Privatmann war der Arzt nicht aufgeführt im Telefonbuch. Stachelmann dachte einen Augenblick nach, dann rief er die Praxis an. Als die Sprechstundenhilfe sich meldete, sagte er: »Schmidt, UPS. Ich habe hier eine Sendung für Frau Detmold mit unvollständiger Adresse. Ich habe nun den Auftrag, die Sendung nur ihr persönlich auszuhändigen. Das ist doch die Frau von Herrn Rainer Detmold?«
    »Liefern Sie das Paket doch in der Praxis ab«, sagte die Sprechstundenhilfe, sie klang genervt.
    »Das darf ich nicht. Die Sendung ist hoch versichert, offenbar wertvoll. Ich darf sie nur Frau Detmold persönlich übergeben.«
    »Hirschgasse 26«, sagte die Sprechstundenhilfe und legte auf. Er verließ die Zelle und kaufte in der Buchhandlung einen Stadtplan. Die Hirschgasse lag auf dem nördlichen Neckarufer. Er überquerte die Karl-Theodor-Brücke und ging die Ziegelhäuser Landstraße entlang bis kurz vor den Wehrsteg, wo die Hirschgasse links abzweigte. Bald atmete er schwer, als er die Steigung nahm, er musste einige Zeit laufen, bis er vor dem Haus Nr. 26 stand. Es war ein in den Hang gebauter Bungalow, schlicht, aber teuer. Allein die Grundstückspreise in der Hanglage mit Blick auf Neckar und Schloss mussten astronomisch sein. Stachelmann fühlte sich klein. Zu Recht, er war ein Versager, so schön würde er nie wohnen. Nicht einmal annähernd. Er dachte an seine biedere Wohnung in Lübeck, es war ein verstörender Unterschied. Nun fühlte er sich nicht mehr sicher, ob er das Richtige tat. Trotzdem klingelte er. Er wartete ungeduldig, bis die Tür sich öffnete. Eine Frau schaute ihn aufmerksam an aus großen schwarzen Augen, über dem rechten sah Stachelmann einen kleinen Leberfleck. Sie war jünger als er, hatte die schwarzen Haare hinter dem Kopf zusammengebunden, trug eine Jeans und ein T-Shirt. Sie beeindruckte Stachelmann, und sie schien es zu wissen.
    »Frau Detmold?«
    »Ja.«
    »Ich bin mit Ihrem Mann verabredet, allerdings ein bisschen später.«
    »So, davon weiß ich aber nichts.«
    »Tut mir Leid.«
    »Das muss Ihnen nicht Leid tun.« Sie lächelte. Sie hat etwas Südländisches, dachte er.
    »Wissen Sie, mein Mann vergisst gern mal eine Verabredung. Manchmal ist es ein bisschen peinlich. Kommen Sie bitte.«
    Es war dreist, was er sich leistete, und der Arzt würde ihn hochkant hinauswerfen.
    Sie führte ihn zur Terrasse auf der Rückseite des Hauses, deutete auf einen Gartenstuhl an einem Tisch, wo er den Ausblick auf den Fluss, die Stadt und das Schloss genießen konnte. Die Luft war klar und nicht zu heiß. Sie bot etwas zu trinken an, aber er lehnte ab.
    »Es stört Sie hoffentlich nicht, wenn ich mich wieder in meine Arbeit vertiefe, es muss gemacht werden.«
    Natürlich störte es ihn nicht. Sie ging zur Hecke, die das Grundstück begrenzte, hoch genug, um Passanten den Einblick zu verwehren, aber nicht so hoch, dass sie den Ausblick behindert hätte. Sie kniete sich nieder vor einem Beet. Er beobachtete sie, bewunderte ihre Figur und das Geschick, mit dem sie arbeitete. Auch wenn er wusste, es würde Ärger geben, weil er unter einem Vorwand ins Haus eingedrungen war, schien die Angst weit weg. Er spürte, wie die Spannung wich und er ruhig wurde. Bald hörte er auch das Rauschen aus dem Neckartal nicht mehr. Er sah die Stadt, wie sie früher gewesen war, bevor sie zum geleckten Einkaufsparadies wurde. Er sah den Schmutz in der Hauptstraße, Abfälle auf dem Bürgersteig, angefressene Hausfassaden, die mit revolutionären Parolen bemalten Straßenbahnen, die sich mit schmerzhaft lautem Gebimmel ihren Weg bahnten. In ihrem Schlepptau und im Gegenverkehr die Autos, die sich an jeder Straßenbahnhaltestelle stauten. Überall Typen in Parkas, Mädchen in

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