Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
Wahrheitsfindung beizutragen.
Der Richter schüttelte leicht den Kopf und schaute einen Augenblick grimmig vor sich auf den Tisch. Gleich meldete sich Kipper, stand auf und stellte mit schneidender Stimme einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht, die Begründung werde er zu Beginn des nächsten Verhandlungstags schriftlich nachreichen.
Der Vorsitzende Richter zeigte keine Regung und vertagte die Verhandlung.
Stachelmann verließ den Gerichtssaal vor den beiden Alten und wartete neben der Tür. Bald erschienen Kipper und sein Mandant. Stachelmann folgte ihnen. Vor dem Eingang des Justizgebäudes verabschiedeten sich die beiden lachend voneinander. Stachelmann folgte Kipper ein paar Meter, dann beschleunigte er seinen Schritt, bis er dicht hinter dem Anwalt ging, und sagte: »Hallo, Genosse!«
Der Anwalt fuhr herum, Stachelmann lachte ihn an.
»Wer sind Sie?«, fragte Kipper misstrauisch.
»Stachelmann, Dr. Josef Maria Stachelmann, dereinst Revolutionär wie Sie, sogar an derselben Universität, nämlich der hiesigen. Vielleicht kennen Sie mich ja sogar noch.« Stachelmann schien es, als hätte er Kipper schon einmal gesehen.
»Und was wollen Sie von mir?«
»Eine halbe Stunde Ihrer kostbaren Zeit.«
»Weshalb?«
»Nicht auf der Straße.«
»Ein Stichwort, sonst wird es nichts.«
»Thingstätte.«
Kipper guckte Stachelmann finster an. »Wenn es sein muss«, sagte er dann gelassen, aber Stachelmann spürte, dass er nur so tat.
Schweigend führte Kipper Stachelmann zu seiner Kanzlei. Die Sekretärin tippte auf einer Tastatur und schenkte den beiden Männern nur einen kurzen Blick. Kipper öffnete die Tür links neben dem Orangenbaum und sagte: »Bitte.«
Stachelmann betrat ein Büro, das dem Vorraum glich. Auch hier stand in einer Ecke ein Orangenbaum. Die beiden Fenster zeigten auf einen Hof mit geparkten Lieferwagen.
»Bitte nehmen Sie Platz«, sagte Kipper, ohne ein Gefühl zu verraten.
Stachelmann setzte sich auf einen Ledersessel in einer Sitzecke, in der noch ein Zweiersofa und ein Glastisch standen.
»Kaffee? Tee?«
Stachelmann winkte ab.
»Gut, kommen wir zur Sache«, sagte Kipper. Und Stachelmann hörte heraus, dass der das Gespräch bestimmen wollte.
»Die Sache ist ganz einfach.« Stachelmann zog das Foto mit dem Brunnen aus der Jacketttasche und legte es auf den Tisch. »Es gibt noch ein paar andere, die das Gleiche aussagen.«
Kipper nahm das Foto und betrachtete es lange, zuerst, um es zu verstehen, dann, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. »Ja, und?«
»Das Foto zeigt Joachim Lehmann, Ihren einstigen Genossen, und Sie.«
»Möglich. Und noch ein paar andere. Die Qualität dieses Fotos ist schlecht, vor Gericht hätte es keine Beweiskraft«, sagte Kipper.
»Und noch ein paar andere«, sagte Stachelmann. »Vielleicht können Sie sich an diesen oder jenen Namen erinnern?«
»Ach du lieber Himmel. Das ist fast drei Jahrzehnte her. Was soll das überhaupt?«
»Mich würde interessieren, wer Lehmann ermordet hat.«
»Sie wollen tatsächlich die Thingstättensache aufklären? Jetzt, nach so langer Zeit? Das ist gänzlich absurd. Wie war Ihr Name?«
»Dr. Josef Maria Stachelmann, damals nannte man mich Jossi. Vielleicht können Sie sich an mich erinnern?«
Kipper dachte nach, allerdings fragte sich Stachelmann, ob der Anwalt sein Gedächtnis mühte. Er legt sich bestimmt gerade eine Strategie zurecht.
»Vielleicht«, sagte Kipper. »Vielleicht auch nicht. Aber wenn Sie mir gelegentlich mitteilen könnten, was Sie von mir wollen.«
Stachelmann überlegte einen Augenblick und ärgerte sich, er hatte das Gespräch nicht vorbereitet. Über Ossi wollte er nicht reden, das ging den Lackaffen nichts an. »Wenn ich die Bekannten von Lehmann finde, dann finde ich auch seinen Mörder.«
Kipper guckte ihn erstaunt an. »Mutige Hypothese.«
»Gewiss«, sagte Stachelmann. Er sagte nicht, die anderen Möglichkeiten habe vermutlich die Kripo damals geprüft. Aber darauf dürfte ein Strafverteidiger von allein kommen, wenn nicht jetzt, dann später. »Sie kannten Lehmann?«
Offenbar wusste der Anwalt nun, was er antworten sollte: »Ja, wie man sich damals eben so kannte. Sprüche klopfen, im Kakaobunker Kaffee trinken, auf einer Demo nebeneinander herlaufen und gänzlich dummes Zeug rufen. Und manchmal hat man sich sogar in einem Seminar gesehen.«
»Hat Lehmann Jura studiert?« Stachelmann wunderte sich über sich selbst. Warum hatte er das nicht zuerst recherchiert?
»Der hat mal dies,
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