Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
mal das studiert. Obwohl, Studieren kann man das nicht nennen. Für einen Abschluss hätte es nirgendwo gereicht. Die Revolution war wichtiger.«
Bei Ossi hatte es auch nicht gereicht für einen Abschluss. Ob er nun doch über Ossi reden sollte? »Aber bei Ihnen hat es gereicht.«
»Ich habe rechtzeitig die Kurve gekriegt. Andere nicht.«
Und heute verteidigst du Betrüger, die andere Leute ruinieren und sich einen Jux daraus machen. Aber er sagte: »Das mit der Revolution war doch nichts.«
Kipper nickte.
Stachelmann widerte es an, mit dieser Figur zu sprechen. »Wo hat Lehmann gewohnt?«
»Puuh, Sie haben Fragen. Ich bilde mir ein, irgendwo in der Oberbadgasse.«
»Haben Sie ihn dort einmal besucht?«
»Kann sein.«
»Das wissen Sie noch.«
Kipper schaute ihn fragend an, als ob er so herausfinden könnte, was Stachelmann wusste. »Ja, ich erinnere mich jetzt. Ich war mal in seiner Bude.«
»Haben Sie da noch jemanden getroffen?«
»Nein.«
»Hatte Lehmann eine Freundin?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Sie wissen es«, Stachelmann spekulierte. Mehr als schief gehen konnte es nicht.
Kipper tat so, als grübelte er. »Da ist mal so eine Blonde gewesen, aber über die weiß ich gänzlich nichts. Die sah ganz nett aus. Aber da war sie ja nicht die Einzige.«
»Und nun vermute ich, Sie erinnern sich auch nicht mehr an diese Thingstättensache.«
»Natürlich erinnere ich mich.«
»Wenn Sie das präzisieren könnten.« Warum beantwortet der Mann meine Fragen? Dass er es unwillig tut, ist offensichtlich. Er könnte mich rausschmeißen und sagen, ich solle zur Kripo gehen, wenn ich neue Indizien hätte. Er will wahrscheinlich verhindern, dass ich glaube, er habe etwas zu verbergen.
»Das, was damals erzählt und berichtet wurde. Die Zeitungen waren gänzlich voll, jedenfalls am Anfang, wie das eben so ist. Und es gab mehr Gerüchte über die Tat und ihre Hintergründe als Studenten in Heidelberg.«
»Das ist ein wenig übertrieben«, sagte Stachelmann.
»Aber nicht gänzlich.«
»Was haben Sie denn geglaubt, und was denken Sie heute über die Sache?«
»Damals dachte ich, es waren Nazis. Aber inzwischen halte ich es für eine Art linken Fememord. Wie bei Schmücker, dem Studenten, der in Westberlin erschossen wurde, weil er ein Verfassungsschutzspitzel war.«
Stachelmann staunte, der Mann wies auf eine Spur, die in seine Nähe führen konnte. »Sie haben keine eigenen Kenntnisse über den Mord?«
»Die hätte ich der Polizei längst mitgeteilt. Sie halten mich wohl für verrückt, ich setze doch meine Zulassung nicht aufs Spiel.«
»Aber Sie kennen noch jemanden, der Lehmann gekannt hatte.«
»An die Gesichter kann ich mich einigermaßen erinnern, bezweifle aber, dass ich die Leute heute wieder erkennen würde. Und Namen, mein Gott, die sind gänzlich Schall und Rauch.«
»Ich melde mich morgen bei Ihnen, dann ist Ihnen bestimmt jemand eingefallen. Ganz bestimmt.« Wenn der Anwalt auf eine solche plumpe Drohung ohne jedes Gewicht eingehen würde, dann wusste er etwas, und vor allem wusste er nicht, was Stachelmann wusste. Genauer gesagt, dass Stachelmann so gut wie nichts wusste.
»Na schön, ich werde mein Hirn mal strapazieren.«
Vor der Eingangstür musste Stachelmann lachen. Er hatte das Büro des Lackaffen verlassen, einen Blick auf das Püppchen im Vorzimmer geworfen, das sein so ebenmäßiges wie ausdrucksloses Gesicht zu einer Freundlichkeit vorspiegelnden Grimasse verzogen hatte, und die Erleichterung gespürt, die einen erfasst, wenn man einen Menschen verlässt, der durch und durch verlogen ist. Nun machte er sich auf den Weg zu dem Arzt. Er prüfte noch einmal dessen Adresse in seinem Notizbuch, die Praxis lag in der Grabengasse, wo früher der Allgemeine Studentenausschuss saß, den alle nur AStA nannten.
Der Schmerz zog vom Rücken in die Beine, er schaute sich um, ob er ein Taxi fand. Stachelmann stellte sich an den Straßenrand und wartete, der Bahnhof war nah, es konnte nicht lange dauern. Es dauerte doch mehr als zwanzig Minuten, bis ein Taxifahrer hielt. Es fuhr ihn in die Grabengasse, und Stachelmann fand gleich das Haus neben der alten Universitätsbuchhandlung, in dem Rainer Detmolds Praxis lag. Er nahm den Aufzug in den zweiten Stock, klingelte an der Tür mit dem Praxisschild, drückte beim Summen die Tür auf und sah ein überfülltes Wartezimmer. Die Sprechstundenhilfe am Tresen nestelte in Papieren, dann warf sie ihm aus stark geschminkten Augen einen Blick zu
Weitere Kostenlose Bücher