Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
nichts geht.«
»Ist aber wichtig. Eigentlich habe ich den Thingstättenmord aufgeklärt und den Mord an Ossi auch ...«
»Ossi wurde nicht ermordet. Ich habe es mir angewöhnt, den Pathologen zu glauben. Und für diese Thingstättensache brauchst du wenigstens ein einziges Indiz und nicht nur Kombinationsgabe. Deine höchst persönlichen Eindrücke von diesem Arzt und dem Anwalt werden den Staatsanwalt nicht beeindrucken. Und wenn ich auf eigene Faust die Kripo in Heidelberg um Amtshilfe bitte, kommt das raus, und ich bin die Gelackmeierte.«
Stachelmann wurde wütend. Er lieferte Mörder frei Haus, und sogar Carmen, die für ihn nicht nur eine Polizistin war, wies die Hilfe zurück. Das hatte er schon einmal erlebt. Und er hatte Recht gehabt. »Das erinnert mich an zwei andere Fälle, in denen die Kripo auch versagt hat, die Hamburger Kripo. Aller schlechten Dinge sind drei, nicht wahr?« Schade, dass Handys keine Gabel haben, auf die man einen Hörer knallen kann. Er drückte auf den Knopf mit dem Hörersymbol und hätte das Telefon am liebsten gegen die Wand geworfen.
Er stand einige Minuten im Zimmer, das Handy in der Hand, und dachte nach. Er konnte es auf die dumme Tour versuchen. Noch einmal bei Kipper und Detmold auftauchen und nach dem Alibi fragen. Wenn sie die Mörder waren, dann würden sie ihm nicht antworten. Bei Detmold war er sich sicher, der war in die Thingstättensache verstrickt. Bei Kipper wäre es ihm angenehm, er gestand es sich ein. Solche Leute hatten es verdient, von ihrer Vergangenheit eingeholt zu werden. Er rief sich noch einmal die Bilder von der Verhandlung ins Gedächtnis, wo Kipper mit sichtbarer Befriedigung einen Mann verteidigte, der davon lebte, andere Menschen zu ruinieren. Wenn es eine Gerechtigkeit gab auf der Welt, dann bestünde sie darin, solche Leute nicht davonkommen zu lassen mit ihrer Lebenslüge.
Da meldete sich die Angst. Wenn er Kipper und Detmold nach dem Alibi fragte, wie verklausuliert auch immer, sie würden sich überlegen müssen, wie sie ihn loswurden. Sie wüssten, es wäre eine Frage der Zeit, wann die Sache an die Polizei gegeben würde. Nein, die beiden hatten gewiss nicht geplant, die kommenden Jahre im Knast zu verbringen. Wenn sie auch Ossi getötet hatten, dann kam es auf einen Mord mehr nicht an. Er musste schlau sein, sehr schlau.
Was spricht dafür, dass Kipper beteiligt ist? Dass er in Heidelberg wohnt. Dummes Argument. Dass er ein ekliger Typ ist? Noch dümmer. Wenn jedes Ekel ein Mörder wäre, wäre die Erde entvölkert. Und wenn jeder Mörder ein Ekel wäre, hätten es Polizei und Gerichte leichter.
Das Handy klingelte. Er schaute auf die Uhr, es war nach zweiundzwanzig Uhr. Er drückte auf den Hörerknopf. »Du wolltest mich bestimmt noch anrufen.«
Er erschrak. Was war er nur für ein furchtbarer Mensch, ein Autist. »Tut mir Leid«, sagte er.
»Ist schon gut«, sagte seine Mutter. Sie klang schwach und niedergeschlagen.
»Wie geht es dir?«
»Wie es einem geht, den man operiert hat.«
»Ja«, sagte er, wo er doch fragen wollte, ob es neue Befunde gebe.
»Die Ärzte machen es spannend«, sagte sie. »Einer hat gesagt, es besteht Hoffnung, und er sah dabei recht fröhlich aus.«
Woraus man schlussfolgern kann, vorher habe keine Hoffnung bestanden. Gemessen an nichts ist wenig viel. »Das klingt gut«, sagte er.
»Ich werde nun aber doch nicht vor kommender Woche entlassen«, sagte sie.
Er verstand es als Frage, wann er sie besuchen könne. »Ich hoffe, ich kann hier bald verschwinden. Aber es gibt noch ein paar Dinge, die ich klären muss.«
Sie fragte, was er klären müsse. Er antwortete mit Floskeln. »Es wäre schön, wir sähen uns bald wieder«, sagte sie. Er verstand: Ich habe nicht mehr viel Zeit.
Nach dem Gespräch lag er auf dem Bett und starrte an die Decke. Trübsinn hatte ihn erfasst. Es hat keinen Sinn, dich für einen schlechten Menschen zu halten, weil du manchmal etwas vergisst. Schöner Versuch, sein Verhalten zu verharmlosen. »Mies«, sagte er leise, »einfach nur mies.«
Nach einer Weile drängte sich wieder der Thingstättenmord in seine Gedanken. Wenn er ihn aufklärte, klärte er auch den Mord an Ossi auf. Carmen mochte sagen, was sie wollte, die Dinge lagen auf der Hand. Wie mache ich weiter, wenn ich Kipper und Detmold nicht nach ihrem Alibi frage? Beschatten? Mag sein. Aber wird mir der, den ich beschatte, den Gefallen tun, mich dorthin zu führen, wo ich etwas entdecken könnte? Was könnte das
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