Schatten eines Gottes (German Edition)
Ansichten hatten sich bereits in der geistlichen sowie weltlichen Elite festgesetzt? Emanuels scharfem Verstand war es nicht entgangen, dass das Christentum sich in der Tat auf recht trügerischem Boden bewegte, den der Klerus immer wieder mit dicken Brettern begehbar machen musste. Vielleicht war es wirklich auf Lügen aufgebaut, womöglich sogar ausschließlich auf Lügen, aber nicht das erschreckte ihn. Wichtig war nur, die Deutungshoheit über sie zu behalten und die Macht nicht zu verlieren. Und über die Macht gebot, wer das Wissen besaß. Emanuel hatte dafür ein Gespür und bewunderte Menschen, die es benutzten. Dabei wollte er nicht auf der falschen Seite stehen.
De Monthelon schien Emanuel nicht zu beachten, Octavien hingegen streifte er mit einem freundlichen, fast väterlichen Blick. »Und Ihr wollt in den Orden eintreten? Wisst Ihr das ganz bestimmt?«
»Was könnte es Ehrenvolleres geben?«, erwiderte Octavien, etwas verunsichert durch die Frage.
»Und Ihr wollt das Keuschheitsgelübde ablegen? Was für eine Verschwendung!«
»Nun, es sind Mönche, nicht wahr?«, gab Octavien jetzt erst recht irritiert zurück, während er leicht errötete.
»Ja, und wahrscheinlich habt Ihr nur Lobenswertes über die unerschrockene Miliz Christi gehört. Die Tempelritter genießen tatsächlich einen ausgezeichneten Ruf, auf den sie sich allerdings so viel einbilden, dass sie der arroganteste Haufen sind, den man sich vorstellen kann.«
»Ich bitte um Verständnis, wenn ich Euch unterbreche, ihr Herren!«, meldete sich Emanuel wieder zu Wort. »Es geht um das Pergament und nicht um die Anmaßung der Templer, obwohl ich nicht umhin kann, Euch recht zu geben, de Monthelon.«
Dieser Seitenhieb saß.
»Wer überträfe wohl den Hochmut der Zisterzienser-Mönche?«, gab Octavien giftig zurück. Dann wandte er sich an de Monthelon. »Ich höre dergleichen zum ersten Mal, und ich muss annehmen, dass dieses Urteil auf Euren eigenen schlechten Erfahrungen mit dem Orden beruht.«
Yves de Monthelon lächelte. Seine Blicke verweilten kurz auf Octaviens sauberem, fürstlichem Rock und seinen gepflegten Händen und Fingernägeln. »Glaubt mir, junger Freund, Ihr taugt nicht für den Orden.«
Octavien betrachtete nun ebenfalls misstrauisch seine Hände. »Ihr müsst wissen, ich trage sonst Handschuhe«, versuchte er sich zu rechtfertigen, weil er nicht wusste, worauf de Monthelon hinaus wollte.
»Großer Gott! Wisst Ihr denn nicht, was das Gelübde beinhaltet? Armut, Keuschheit und Gehorsam.«
»Natürlich. Die Templer sind ein Mönchsorden«, gab Octavien gemessen zur Antwort. Er warf Emanuel einen herausfordernden Blick zu, der zur Decke starrte und nervös an seinem Rosenkranz nestelte.
De Monthelon lachte. »Was Ihr aber offensichtlich nicht wisst: Es gibt ein Spiel- und Lachverbot, ein Jagdverbot, ein Falkenzuchtverbot, kurz, alles was Freude macht, ist nicht erlaubt. Dafür dürft Ihr so schmutzig und behaart sein wie Ihr wollt, denn es wird nur einmal im Jahr gebadet und sonst der Natur freien Lauf gelassen.«
Octavien erblasste. »Das ist nicht wahr! Das sagt Ihr, um …« Er unterbrach sich. »Ist das wirklich wahr?«, fügte er leise hinzu.
»Es ist wahr. Bernhard von Clairvaux hielt nie viel von solchen Äußerlichkeiten. Aber es steht Euch natürlich frei, Euch noch anderweitig zu erkundigen.«
Octavien schluckte. »Ich werde meinen Onkel fragen.«
Ihm fiel plötzlich der strenge Geruch ein, den sein Onkel so oft ausströmte.
De Monthelon nickte lächelnd. »Ach, bevor ich es vergesse: Die Muslime waschen sich täglich fünfmal.«
Emanuel war verärgert über den Verlauf des Gesprächs, aber mehr noch über seine Ergebnislosigkeit. Wenn sie nicht mehr erfuhren, nützte es ihnen wenig, dass es ein Pergament gab. Die Spur führte zu de Monthelon und nicht weiter.
»Das ist alles sehr aufschlussreich gewesen«, unterbrach er das sinnlose Geplänkel, »aber es hat uns nicht weitergebracht. Wir werden wohl, lediglich mit dem Kochrezept bewaffnet, den Heimweg antreten müssen.«
»Ich war noch nicht fertig, Bruder Emanuel. Jemand unter den Rittern wollte offensichtlich, dass das Pergament gefunden wird. Er hinterließ einen Hinweis.«
»Warum sagt Ihr das nicht gleich?«, fuhr Emanuel auf. »Ihr liebt es wohl, uns zu foppen, edler Monthelon. Sagt doch gleich frei heraus, was Ihr wisst.«
»Ich zögere aus gutem Grund. Ihr wollt wissen, wo es vermutlich versteckt ist. Aber damit gehe ich ein großes Risiko
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