Schatten eines Gottes (German Edition)
geführt. Nebenbei wurden die Juden ermordet. Man verbrannte sie zu Hunderten. Die Kirche, in deren Buch etwas von Feindesliebe und Nächstenliebe stand, hatte den Mördern die Händchen gehalten und ihnen für ihre Gräueltaten das ewige Leben versprochen.
Und der Mann, der das alles befohlen hatte, saß in Rom und hielt sich nach eigener Aussage für den Statthalter Jesu Christi auf Erden. Ein Größenwahnsinniger saß auf dem Stuhle Petri.
Ja, das Christentum war eine verkehrte Religion. Nicht um ihres Irrtums, sondern um ihrer Lügen willen. Seine Diener wussten, was sie taten. Schlechtes nannten sie gut, Grausamkeiten verkauften sie als Wohltat, sie nannten schwarz weiß und setzten Satan als Stellvertreter Gottes auf den Heiligen Stuhl.
Und für das alles war Mithras, der Gott des Lichtes, gestürzt worden!
Gestern, als er kurz hinter Mainz am Wegesrand eine Rast eingelegt hatte, hatte Sinan Scharen zerlumpter Kinder vorbeimarschieren sehen, die mit glänzenden Hungeraugen und Hosianna auf den bleichen Lippen gen Jerusalem trabten. Er hatte in ihre blassen Gesichter geschaut, auf denen die zerbrechliche Hoffnung schimmerte, um die sie bereits beim ersten Schritt betrogen worden waren. Und alles im Namen des Kreuzes. Wie dringend war es geboten, diesen Jesus durch Mithras abzulösen! Den Allumfassenden, unter dessen milder Herrschaft große Reiche entstanden waren, das Perserreich und das Römische Reich, wo Kultur und Wissenschaft geblüht hatten. Wo die Weisheiten ägyptischer und griechischer Götter mit Mithras eine Symbiose eingegangen waren, ohne sich gegenseitig zu verunglimpfen oder gar zu vernichten. Wahrlich, der Meister hatte recht gehabt. Dem Ziel, das alte Pantheon wiederzuerrichten, musste alles untergeordnet werden. Es war notwendig, dafür alle Kräfte aufzubieten.
***
Obwohl sich Emanuel und Octavien einig waren, wie sie mit dem Pergament verfahren wollten, war Octavien enttäuscht, denn nun hieß es, nach Köln zurückzukehren. Die Jagd nach der Reliquie war zu Ende. Aus seiner Sicht hatte er nichts erreicht. Und auf seinem Landgut bei Aachen erwarteten ihn auch keine Herausforderungen. So sehr er anfänglich gegen Emanuel eingestellt gewesen war, am Ende hatte er das Herumziehen mit dem Mönch genossen.
Anstandslos hatte Ibrahim Ben Shlomon ihnen eine Abschrift vom Text auf der Lederdecke angefertigt. Alte unbeschriebene Pergamente besaß er reichlich. Zum Schluss band er noch dieselbe Schnur um die Schriftrolle. Mit dieser Fälschung bewaffnet hatten sie sich auf den Weg gemacht. Emanuel verwahrte das harmlose Dokument, während Octavien das Vermächtnis Jesu samt Übersetzung ins Lateinische hütete. Was damit geschehen sollte, war immer noch ungeklärt.
Ihr Ritt verlief ereignislos, sah man davon ab, dass ihnen überall auf den Straßen die Kinder jenes unseligen Kreuzzuges entgegen kamen. Sie waren wirklich aufgebrochen.
»Bisher ist es mir gelungen, mich von Ungeziefer und schlechten Gerüchen fernzuhalten«, hatte Octavien gebrummt und darauf gedrungen, den Kindern auszuweichen und sich fern der Hauptstraße zu bewegen. Er hielt dieses von Emanuel in die Wege geleitete Vorhaben nach wie vor für verrückt, ja aberwitzig, aber er sprach ihn nicht darauf an, es war alles dazu gesagt, und die Generalversammlung der Äbte hatte es gebilligt – oder zumindest dazu geschwiegen.
Als sie drei Tage später in Köln eintrafen, empfand Octavien die Stadt als wohltuend ruhig. Die Armen, die Kranken, die Ganoven und Bettler hatten größtenteils die Stadt verlassen. Nun begriff er langsam, was Emanuel mit diesem Kreuzzug bezweckt hatte. Ein kaltblütiger, mitleidloser Bursche, dieser Mönch, aber gerissen und durchtrieben.
Während Emanuel seine Brüder in der Marzellengasse aufsuchen wollte und danach den Bischof, war Octavien sich selbst überlassen, und er fühlte sich ein wenig verloren. Das war wohl das Ende seines Abenteuers und auch der Abschied von Emanuel. Octavien wartete auf ihn in jenem Wirtshaus, wo sie die Sache damals besprochen hatten. Während er vor einem Becher Wein saß, überlegte er, was er jetzt tun sollte. Was wartete auf ihn? Sollte er in ein Templerkloster eintreten und Tempelritter werden? Als Knabe war das immer sein Wunsch gewesen, doch nach Monthelons Bemerkungen hatte diese Vorstellung nichts Verlockendes mehr für ihn.
Immer wieder schlich sich ein Gedanke in seine Überlegungen, den er, wenn er auftauchte, schnell verdrängte. Aber er kehrte hartnäckig
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