Schatten eines Gottes (German Edition)
sprechen und Abschied nehmen, mehr konnte es nicht sein. Und doch wollte er auf diesen Augenblick nicht verzichten. Aber Emanuel durfte auf keinen Fall davon erfahren. Er hasste Agnes und hätte kein Verständnis für Octaviens Leidenschaft aufgebracht.
Deshalb überredete er Emanuel, noch einmal etliche Kirchen aufzusuchen, um für ein gutes Gelingen ihrer Reise zu beten. »Ihr seid näher an Gott, auf Euer Gebet wird er eher hören.«
Emanuel glaubte, das Gegenteil sei der Fall, aber weil er bei ihrem letzten Besuch noch nicht die Zeit gefunden hatte, alle Kirchen zu sehen, besonders jene, die sich außerhalb der Stadtmauern befanden, stimmte er zu. Kaum war der Pilger losgezogen, holte Octavien sein Pferd aus dem Stall und trabte Richtung Stadttor.
***
Agnes musste zweimal hinschauen, doch sie hatte sich nicht geirrt. Der junge Reitersmann auf dem schwarzen Hengst, der soeben durch das Tor geritten kam, war Octavien. Bei einer Birke stieg er vom Pferd, band es am Baum fest und – kein Zweifel, er kam auf sie zu. Agnes bekam vor Aufregung kaum Luft. Ihre Gefühle schlugen Purzelbäume. Sollte sie ihrer Wut auf diesen anmaßenden Frechling nachgeben oder auf ihr heftig pochendes Herz hören, das vor Freude schneller schlug. Sie hatte keine Zeit, sich auf diese Begegnung vorzubereiten.
Octavien trat an ihren Stand und verbeugte sich vor ihr wie vor einem Edelfräulein. Agnes wurde feuerrot. Was hatte das zu bedeuten? Er erwies ihr vor all den einfachen Leuten diesen Respekt?
Agnes räusperte sich. Die Röte auf ihrem Gesicht konnte sie nicht wegzaubern, aber ihre Stimme behielt sie in der Gewalt. »Oh, der edle Ritter. Was für eine Ehre! Womit habe ich mir Eure ritterliche Verbeugung verdient?«
»Ich bin gekommen, mich für mein Geschenk zu entschuldigen. Natürlich nur für den Brief. Er war ungezogen. Es tut mir leid.«
»Dann haltet Ihr mich nicht mehr für eine Hure?«
»Ein hässliches Wort. Aber reine Magd oder gefallener Engel, mir ist das gleich. Im Grunde schaue ich nur aufs Herz. Ich war wohl etwas eifersüchtig gewesen.«
Eifersüchtig? Agnes vollführte einen inneren Luftsprung. Dann hatte er Gefühle für sie. Doch sie war vorsichtig. »Wollt Ihr mich also nicht mehr auf die Sache in der Kirche ansprechen?«
Octavien schüttelte grinsend den Kopf. »Das verbietet mir die Ritterehre. Allerdings hast du schon ein Sakrileg begangen. Du hast einen Mönch hinter einem Altar verführt. Ich erwähne das, weil Emanuel mein Freund ist. Das Ganze hat ihn schrecklich mitgenommen. Nach dem Vorfall ist er völlig zusammengebrochen.«
Agnes zuckte die Achseln. »Euer Freund wurde das Opfer seiner eigenen Begierde. Ich kann wirklich nicht mit einem Mann Mitleid haben, dem es einfach an Beherrschung gefehlt hat.«
»Musste es denn ausgerechnet ein Mönch sein?«
»Er sieht sehr gut aus«, gab sie frech zur Antwort.
Octavien konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Nun ja, du hast recht. Wenn ich mich richtig erinnere, kann es ihm so schlecht nicht gefallen haben.«
Agnes kicherte. Octavien schien gar nicht so übel zu sein. Aber gerade deshalb musste sie auf der Hut sein. »Gut, es tut mir leid, was mit Eurem Freund passiert ist. Ich meine, dass ich seiner Keuschheit zu nahe getreten bin. Aber wollt so gütig sein und mich nicht mit ›Du‹ anreden, ich bin eine ehrbare Geschäftsfrau.«
»Ehrbar wohl weniger, aber wortgewandt und geschäftstüchtig. Ihr betrügt die Leute erfolgreich mit wertlosen Steinen und angemalten Kirschkernen.«
»Ich muss überleben. Und die kleinen Betrügereien machen die meisten Leute glücklich.«
»Ich weiß, und mir gefällt das. Ich mag Euch. Ich mag Eure Art, Euer Lachen, Eure Frechheiten und Euren Scharfsinn.«
Agnes starrte ihn überrascht an, diese Antwort hatte sie nicht erwartet. »Ist das wahr?«
»Warum sollte ich lügen?«
Weil der Herr Ritter Wohlerzogen mich nach dem Erlebnis in der Kirche für eine Käufliche hält und glaubt, für ein bisschen Flitter mit mir leichtes Spiel zu haben,
dachte Agnes.
Herr von Dünkel war eigentlich sehr nett und sah gut aus. Aber das war eben das Elend mit den Männern. Man glaubte, endlich den Märchenprinzen gefunden zu haben und am Ende fand man sich allein gelassen mit einem dicken Bauch im Straßengraben wieder.
»Ihr braucht mir nicht zu schmeicheln. Es haben sich schon ganz andere Adelssprösslinge eine Abfuhr geholt.«
»Ich bin sicher, Ihr habt sie zum Teufel gejagt.«
»Ich habe ihn – nun ja, das
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