Schatten eines Gottes (German Edition)
Vater seinen Glorienschein zu nehmen.
Nathaniel wies auf die Schale mit Leckereien. »Ich hoffe, es hat euch nicht den Appetit verschlagen. Nehmt doch auch von den Honigkuchen, sie sind ebenfalls nach einem arabischen Rezept hergestellt. Die Orientalen lieben Süßigkeiten.«
»Was uns bei Burg Hirscheck passiert ist, ging aber keineswegs mit rechten Dingen zu«, mischte sich Octavien ein. »Jemand wollte, dass wir das Pergament dort finden und es dem Papst bringen. Er sollte davon erfahren.«
Nathaniel lächelte maliziös. »Ihr habt das Kästchen also doch geöffnet? Und es handelt sich um ein Pergament? Wahrlich, das würde mich interessieren.«
Octavien hatte sich verplappert, er biss sich auf die Zunge, aber Emanuel ermunterte ihn: »Erzählt ruhig die ganze Geschichte.«
Das tat Octavien, allerdings verschwieg er, was Emanuel unter dem Text gefunden hatte und natürlich auch ihren Besuch bei dem Wormser Juden.
»Was haltet Ihr davon?«, fragte er Nathaniel.
»Hm. Wer war dieser geheimnisvolle Wächter? Habt ihr das jemals herausgefunden? Ich bin der Meinung, dass er hinter der ganzen Sache steckt.«
»Ihr wollt nicht wissen, was drin steht?«, fragte Emanuel.
»Oh, nur zu gern. Wisst Ihr es denn?«
»Ich bin des Lateinischen mächtig.«
»Dann kann es sich bei dem Pergament schwerlich um ein Relikt aus der Zeit Jesu gehandelt haben. Es sei denn, wir haben hier ein Referat von Cicero vor uns.« Er lächelte amüsiert.
»Es war ein Text aus der Apokalypse des Johannes. Er richtete sich an Innozenz und bezeichnete ihn als Tier, das auf dem Throne Satans sitzt. Wir nehmen an, da hat sich jemand mit uns einen üblen Scherz erlaubt.«
Nathaniel lächelte unmerklich. »Und so ein heikles Schriftstück wolltet Ihr dem Papst aushändigen?«
»Jetzt natürlich nicht mehr«, murmelte Emanuel. »Aber ich würde sagen, der Text passt zu dem, was Ihr uns über die Bruderschaft des Mithras gesagt habt. Ich denke, de Monthelon steckt dahinter.«
»Nein, nein, das passt nicht zu ihm. Er ist ein stolzer Mann und würde dem Papst ins Gesicht sagen, was er von ihm hält. Wäre es zu viel verlangt, wenn ich das Pergament einmal sehen dürfte?«
»Es spricht nichts mehr dagegen. Ich trage es stets bei mir.«
Emanuel griff in die Brusttasche seines Habits und reichte es Nathaniel.
Dieser entfernte vorsichtig die Schnur und öffnete das brüchige Pergament. Er überflog den Text, nickte mehrmals und lächelte zufrieden. Dann rollte er es wieder zusammen, band die Schnur darum und gab es Emanuel zurück. »Es ist so kostbar und zerbrechlich und verträgt das ständige Aufrollen nicht gut. Oh, ich wünschte, ich könnte das Gesicht von Innozenz sehen, wenn er das liest. Aber ich nehme an, ihr habt euch inzwischen anders entschieden?«
»Wir hätten Innozenz versichert, nichts von diesem Text zu wissen.«
»So wie ihr mir weismachen wolltet, ihr hättet das Kästchen niemals geöffnet?«
»So ungefähr. Aber nun ist dieses Pamphlet für uns wertlos geworden. Ich denke, wir können es vernichten.«
»Nein!« Nathaniel wäre fast aufgesprungen, besann sich dann aber und legte die Hände aneinander. »Das solltet ihr nicht tun. Ich habe eine bessere Idee. Von diesem Pergament sollten auch andere erfahren. Wir beabsichtigen in Kürze ein geheimes Treffen in Rom. Bedeutende Männer werden dort zusammenkommen, darunter auch Bischöfe und Kardinäle. Sie werden den Text höchst amüsant finden und sich darüber freuen, dass wir offensichtlich einen weiteren geheimen Anhänger haben. Ich hoffe doch, ihr werdet mit dabei sein wollen?«
»Aber wer hat den Text verfasst?«
»Es kommen etliche in Betracht. Innozenz hat viele Feinde, mehr als er selber glaubt. Ein Mann, der erklärt, jeder Kleriker müsse dem Papst gehorchen, selbst wenn er Böses befiehlt, der hat naturgemäß so manchen Kardinal oder Bischof gegen sich. Und noch immer wissen wir nicht, zu welcher Gruppe jener geheimnisvolle Wächter Rodnik gehörte.«
***
Am späten Nachmittag desselben Tages wandelten Emanuel und Octavien durch den Kreuzgang. Octavien hielt die Hände hinter dem Rücken verschränkt und musterte flüchtig die Wandbilder, die die vierzehn Stationen Jesu auf seinem Kreuzweg zeigten. Ihm fiel auf, dass die Leiden des Herrn besonders brutal und blutig dargestellt waren, wie er sie in dieser Form noch nicht gesehen hatte. »Was haben wir drei für eine fantastische Vorstellung geboten, nicht wahr? Das Stück hieß: wer lügt am geschicktesten.
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