Schatten eines Gottes (German Edition)
gerechte Zorn Gottes, der über die sündigen Menschen gekommen war, doch in Wahrheit hatte die Kirche versagt, und dieses Versagen schob sie auf Gott. Er war der Rächer, die Kirche irrtumsfrei. In Emanuel hallten die Worte wider. Nein, es waren keine Tropfen, es waren Wasserfälle von Vorwürfen, die ihn niederwarfen und zu ertränken drohten. Jeder Schwall eine grenzenlose Enttäuschung, verraten worden zu sein, jeder Guss eine bittere Erkenntnis, gescheitert zu sein.
»Die Tempelritter«, fuhr Nathaniel fort, »brachten tatsächlich einen großen Schatz mit aus dem Heiligen Land. Sie sammelten verloren gegangenes Wissen, sie gruben es aus, sie holten es aus vergessenen Ruinen, sie befragten die Alten, und als sie zurückkehrten, gingen ihnen die Augen auf, unter was für einem Haufen Schlacke das christliche Abendland begraben lag.«
Nathaniel wies auf die Terrasse. »Kommt, lasst uns bei den Blumen sitzen. Leider ist das Klima hierzulande nicht so mild wie in südlichen Gefilden, wo diese Bauweise besser zur Geltung kommt.«
»Das sollte Octavien sehen«, sagte Emanuel. »Er würde sich im Paradiese wähnen.«
Nathaniel lächelte. »Aber er ist doch schon da und genießt dieses Paradies. Er erwartet Euch auf der Terrasse.«
»Was?« Emanuel stürmte an dem Abt vorbei. Tatsächlich. Dort saß Octavien in einem bequemen Sessel aus Korbgeflecht und grinste ihn an. Er trug ein merkwürdiges Gewand, das sah ein bisschen aus wie ein Frauenkleid. Es war aus einem dunkelblauen, glänzenden Stoff und mit Gold- und Silberfäden bestickt. Emanuel erinnerte es an einen Nachthimmel.
Seine Verblüffung wich leisem Neid, dass Octavien vor ihm in das Geheimnis eingeweiht worden war. Gleichzeitig beschämte es ihn, dass er diese Herrlichkeiten nicht als heidnisches Blendwerk verdammte. Wie sollte er sich nun rechtfertigen? Octavien hingegen hatte kein Mönchsgelübde abgelegt, er konnte die Annehmlichkeiten ohne schlechtes Gewissen genießen.
»Seit wann seid Ihr hier?«, platzte Emanuel heraus.
Octavien sah wohl, was Emanuel bewegte. »Seit heute Morgen. Der Abt war so freundlich, mir dieses Kleinod zu zeigen. Er versicherte mir, Ihr würdet bald folgen, er hätte bei Euch nur noch ein bisschen Überzeugungsarbeit zu leisten.«
Emanuel schluckte. Doch bevor er etwas erwidern konnte, legte der Abt ihm den Arm um die Schultern. »Sagte ich Euch nicht, Octavien wird schneller zu uns gehören als Ihr? Aber setzen wir uns doch.«
Emanuel mied den Blick des Templers. Die Situation irritierte ihn. Alles war so plötzlich über ihn gekommen. Kaum hatte er Platz genommen, huschte auch schon ein Diener herbei. Wie lautlos er sich bewegte! Nachdem sie mit Salzgebäck und verdünntem Wein versorgt waren, sagte Octavien: »Was sagt Ihr zu meinem neuen Rock? Er heißt Kaftan und wird in dieser prächtigen Ausführung von vornehmen Muslimen getragen. Ähnelt ein wenig Eurem Habit, sieht aber viel besser aus, nicht wahr?«
Emanuel war jetzt nicht danach zumute, über Gewänder zu reden. Er fragte sich, ob Octavien in das, was der Abt und die Bruderschaft beabsichtigten, eingeweiht war, oder ob er lediglich mit glanzvollen Dingen ruhiggestellt werden sollte, um sich weder ihm noch dem Abt entgegenzustellen.
»Ich muss gestehen«, murmelte er, während er sich vorsichtig in dem fragilen Geflecht eines anderen Sessels niederließ, »ich bin von den Ereignissen überrollt worden.«
Er blinzelte Octavien zu. »Ihr seht aus wie ein Muselmann.«
Der zuckte die Achseln. »Vielleicht werden wir bald alle so leben. Schaut Euch um. So einen Überfluss an Zweckmäßigkeit, aber auch an äußerer Vollendung gibt es nicht einmal auf meinem Aachener Gut.«
Emanuel zögerte mit der Antwort. Natürlich war Octavien begeistert, er selbst war es ja auch, aber war er auch in die Hintergründe dieser Stadt und in die Absichten Nathaniels eingeweiht? Dann sagte er sich, was er wusste, das würde auch Octavien erfahren, davon musste der Abt ausgehen. Leider konnte er ihn in dieser kritischen Situation nicht unter vier Augen sprechen. Der Templer mochte auf der Seite des Abtes stehen, aber was würde er dazu sagen, dass Emanuels Glauben auf der Strecke geblieben war?
Er räusperte sich und wandte sich an den Abt: »Octavien hat recht. Aber gebt zu, das alles hier wäre doch auch in Zukunft nur etwas für die höheren Schichten? Oder werden auch die Bauern in solchen Häusern leben?«
Nathaniel glättete gewissenhaft die Falten seines Gewandes.
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