Schatten eines Gottes (German Edition)
auch immer ihr in Rom tut oder sagt, wohin auch immer ihr geht, denkt daran, dass wir uns inmitten von Feindesland befinden.«
Die beiden Männer nickten stumm.
»Danke. Ich danke euch. Gemeinsam mit Tausenden von edel Gesinnten baut ihr an der Zukunft des Reiches, an der Zukunft der Völker. Und nun darf ich euch einen angenehmen Aufenthalt in Rom wünschen. Dem aufmerksamen Beobachter bietet es immer noch eine Fülle von Mysterien und verborgenen Schönheiten.«
Die Tage verflogen für Emanuel wie im Rausch. Noch niemals war er so vielen gebildeten und weit gereisten Leuten begegnet, mit so vielen verschiedenen Meinungen konfrontiert und in so viele geistreiche Gespräche verwickelt worden. Er hatte geglaubt, ein Kirchturm des Wissens zu sein, doch die anderen waren Dome. Emanuel fühlte sich wie ein Fisch im Wasser. Bei Gott, hier in Tibur traf sich die geistige Elite Europas. Es verstand sich von selbst, dass auch Tempelritter, Juden und Muslime darunter waren. Emanuel konnte sich glücklich schätzen, dass seine Gesprächspartner des Lateinischen mächtig waren, sonst hätte er vielen Gesprächen nicht folgen können.
Es überraschte ihn nicht, dass auch ein Bischof und ein Kardinal anwesend waren, und zwei Äbte, die er von dem geheimen Zusammentreffen in Altenberg kannte. Erst jetzt bekam er einen Eindruck davon, wie mächtig die Bewegung bereits war. Nun hegte er nicht mehr den geringsten Zweifel, dass er zu dieser elitären Gruppe gehören wollte. Mithras? Warum nicht? Eine gute Sache musste einen guten Namen haben.
***
An der Via Appia Antica erzählten noch viele Ruinen von Roms glanzvoller Geschichte. Familien großer Namen hatten hier ihre letzte Ruhestätte gefunden und ihre Grabmäler zu wahren Festungen ausgebaut, von denen die meisten zu Schutt zerfallen waren. Aber von einst herrschaftlichen Villen stand noch manche Säule, und wenn man die Moosschicht abkratzte, kam hier und da ein Stück Mosaikboden ans Licht. Von mächtigen Toren waren die Sockel geblieben, Türme reckten ihre zerbrochenen Stümpfe in den Himmel und Aquädukte überwölbten die Straße wie vielfüßige Ungeheuer. Bäume, Buschwerk, verfilztes Rankenwerk und üppiges Unkraut deckten den Verfall gnädig zu. Füchse und Marder bewohnten nun die Hinterlassenschaft einer glorreichen Zeit.
Aber nicht nur Tiere nutzten die vielfältigen Verstecke. Die Ruinen boten auch vielen Menschen eine Unterkunft. Manch altes Grab wurde nun von einer vielköpfigen Familie bewohnt. Lichtscheues Gesindel fand Unterschlupf in den Nischen, Höhlen und unterirdischen Gängen, die so zahlreich waren wie Waben in einem Bienenstock. Wer sich hier auskannte, blieb unentdeckt.
Neben den antiken Zeugnissen gab es auch eine Reihe von Kirchen und Klöstern, die von braven Mönchen bewohnt und von redlichen Priestern geleitet wurden. Die bekannteste war San Sebastiano alle Catacombe, eine der sieben Pilgerkirchen Roms. Die Legende wollte wissen, dass der Heilige Sebastian, Märtyrer unter Kaiser Diokletian, hier begraben lag, deshalb kamen Pilger aus aller Welt hierher, um ihn zu verehren. Das dazugehörige Kloster beherbergte fromme Zisterziensermönche.
Das war der Ort, den Nathaniel für das große Treffen ausgewählt hatte, und es war eine kluge Wahl. Rainaldo, der Abt des Klosters, sowie die Mönche waren heimliche Mitglieder der Bruderschaft. Sie kannten sich vorzüglich in den Katakomben und Grabkammern unterhalb der Kirche und des Klosters aus und wussten auch um die geheimen Gänge, die kein Pilger zu sehen bekam und selbst dem Lateran unbekannt waren. Unter den Pilgerscharen, die täglich hierher kamen, würden die erlauchten Gäste, selbstverständlich in bescheidene Pilgergewänder gekleidet, nicht auffallen.
Andere wiederum würde man für Bewohner der Appia Antica halten. Mit einem festen Stock in der Rechten oder einem Fuder Holz auf dem Rücken, neben einem Eselskarren herlaufend oder in die Lumpen eines Bettlers gekleidet, wanderten sie die alte Römerstraße entlang und kehrten zu einem kurzen Gebet in San Sebastiano ein. Wem fiel es schon auf, wenn sie nicht wieder herauskamen, sondern von einem der Mönche über etliche Stufen hinab in die kühlen Gewölbe geführt wurden, in verborgene Räume, die fleißige Hände wohnlich eingerichtet hatten.
Mehrere Gänge führten zu dem großen Versammlungssaal, der von großen Wachskerzen und Fackeln erleuchtet wurde. Wie in einem Amphitheater waren Bänke und Stühle in einem Halbrund um das
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