Schatten eines Gottes (German Edition)
erwartungsvoll, aber auch etwas beklommen aus dem Fenster. In ein paar Stunden würden sie Rom erreichen, doch wie näherte er sich dem Mittelpunkt der Christenheit? Nicht mehr als Christ. Der Lateranpalast war jetzt ein unheiliger Ort für ihn, und der Papst sein Feind. Hatte er sich das so vorgestellt?
Seit er sich entschlossen hatte, sich der Religion des Mithras zuzuwenden, war ihm wieder und wieder die Frage durch den Kopf gegangen: Habe ich richtig gehandelt? Die Antwort darauf war er schuldig geblieben. Es war unmöglich abzuschätzen, was ihn bei der Bruderschaft erwartete und wie er den Abfall vom Christentum bewältigen würde.
Am Nachmittag erreichten sie die Ausläufer Roms. Emanuel hätte es nicht bemerkt, wenn der Kutscher nicht darauf hingewiesen hätte. Sie befanden sich auf einer von Pinien gesäumten schnurgeraden Straße, teilweise noch mit dem alten Römerpflaster versehen. Zu beiden Seiten dehnten sich Felder und Wiesen, und nur einige Ruinen zeugten davon, dass sich die Stadt Rom dereinst bis hier erstreckt hatte.
Doch bei aller Enttäuschung ahnte Emanuel, dass sich aus diesen sieben geschichtstrunkenen Hügeln wieder ein starkes Rom emporheben würde. Nathaniel schien ihm der Mann zu sein, der geschaffen war, den Anfang zu machen. Und er, Emanuel, würde dabei sein.
Jetzt folgten sie der Aurelianischen Stadtmauer, und weiter ging es auf der Via Tiburtina nach Osten. In Tibur, einem vornehmen Villenviertel, besaß Nathaniel ein Haus. Die Kutsche holperte über einen steinigen Feldweg. Hinter einem Weizenfeld ragte eine Gruppe Zypressen in den Himmel. Sie spendeten einer Villa Schatten, die inmitten eines kleinen, aber gepflegten Gartens lag. Emanuel war ein wenig enttäuscht, dass das Haus so abgelegen war, praktisch auf dem Land. Er wollte keine Bauernluft atmen. Mit all seinen Sinnen wollte er das erhabene Rom mit seiner stolzen Vergangenheit in sich aufnehmen.
Nathaniel versicherte ihm, dass sie hier besser aufgehoben seien. »In Rom wimmelt es von Dieben und Landstreichern, selbst wenn Ihr den Klerus abzieht, bleiben immer noch ein paar gewöhnliche Schurken übrig. Ihr werdet noch genug Gelegenheit haben, Euch in Rom umzuschauen, um Euch den Staub der Jahrhunderte durch die Finger rieseln zu lassen.«
Sie schritten durch eine Pergola, die auf ein marmornes Tempelchen führte, das auf Säulen ruhte und nach allen Seiten offen war. Auf der Bank rund herum luden weiche Kissen zum Ruhen ein. Gekühlter Wein und pikante Happen aus salzigem Fisch, Oliven, eingelegten Tomaten und dreierlei Käse standen schon bereit. Dazu Wasserschüsseln und frische Tücher. Die Dienerschaft war offensichtlich hervorragend geschult und gut vorbereitet.
»In diesem Haus werde ich in diesen Tagen noch etliche hochgestellte Gäste empfangen«, erklärte Nathaniel, als er ihre überraschten Mienen bemerkte. »Sie sind an Bequemlichkeit gewöhnt und daran, dass ihren Wünschen entsprochen wird, auch wenn die meisten unter ihnen es nicht zugeben würden.«
Nach dem kleinen Imbiss bat Nathaniel die beiden Männer kurz in sein Arbeitszimmer. Die Einrichtung war sparsam, beschränkte sich auf das Wesentliche. Jeder Gegenstand besaß eine Funktion, es gab keinerlei schmückendes Beiwerk. Emanuel erinnerte es an ein altrömisches Zimmer, wie es in einer Abhandlung über Cato beschrieben worden war. Auch Octavien fand es beeindruckend in seiner Nüchternheit.
Sie nahmen auf harten Stühlen Platz, während Nathaniel hinter einem wuchtigen Schreibtisch Platz nahm, der den feingliedrigen, schmalen Gelehrten beinah zerbrechlich erscheinen ließ. Er legte beide Hände flach vor sich auf die Tischplatte. »Wir sind angekommen«, begann er feierlich. »Wir sind in Rom. Ich will euch nicht lange aufhalten, ihr wollt euch nach der langen Reise zurückziehen. Ich verstehe das. Eure Zimmer sind hergerichtet. Die Diener sind angewiesen, euch alle vernünftigen Wünsche zu erfüllen. Aber zuvor möchte ich euch ein paar Worte sagen. Wie euch bereits bekannt ist, werden dieser Tage in Rom bedeutende Männer zusammenkommen, um eine Verschwörung gegen das Christentum zu planen. Darunter werden neben Bischöfen und Kardinälen auch römische Senatoren sein. Von den meisten darf noch nicht einmal bekannt werden, dass sie sich in Rom aufhalten. Die Kontakte wurden mündlich durch Boten übermittelt, es existiert nichts Schriftliches. Daher versteht es sich von selbst, dass darüber strengstes Stillschweigen bewahrt werden muss. Was
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