Schatten eines Gottes (German Edition)
das, obwohl er sehr verliebt in sie war, wie sie wusste.
Agnes hatte Zukunftspläne. Sie wollte erst heiraten, wenn sie diese in die Tat umgesetzt hatte. Mit Devotionalien wollte sie nicht ewig handeln. Sie wollte eine eigene Taverne eröffnen, wie die Gasthäuser hier hießen. Deshalb zählte sie gern ihre Einnahmen und freute sich, wenn sie der Verwirklichung ihres Traums wieder etwas nähergerückt war.
»Ich will heute noch einen Spaziergang durch die Stadt machen. Kommst du mit?«, fragte Ulrich. Nur Agnes zuliebe saß er manchmal bei ihr, aber das Feilschen, Handeln und Betrügen, wie er es offen nannte, war seine Sache nicht.
Agnes wusste schon, dass Ulrich nicht auf die kleinen, reizvollen Märkte wollte, die es überall in Rom gab. Er liebte es, die antiken Denkmäler zu bestaunen, sich vorzustellen, wie es auf dem Forum ausgesehen hatte, auf alten Römerstraßen zu wandern und sich einzubilden, dabei den Marschtritt der römischen Truppen zu hören. Er besuchte die Kirchen und lauschte den christlichen Legenden, die sich um sie rankten. Aber so kam sie wenigstens unter Leute, deshalb sagte sie zu.
***
Vom alten Rom war noch etliches stehen geblieben, das die Besichtigung lohnte, und Ulrich erwies sich wie immer als kenntnisreicher Fremdenführer. »Weißt du eigentlich, dass dort drüben einmal der Janustempel gestanden hat? Seine Türen wurden im Krieg geöffnet und im Frieden geschlossen. Und weiter unten, da wo das verdorrte Sonnenblumenfeld ist, stand der Tempel der Vesta. Kein Mann durfte ihn betreten.«
Agnes hörte nur mit halbem Ohr hin. Bald hatte sie die unzähligen Kirchen, Adelspaläste und antiken Ruinen satt, vom ständigen bemühten Nicken auf Ulrichs Vorträge tat ihr der Nacken weh, von ihren Füßen ganz zu schweigen, denn die Straßen mit den mannshohen Disteln zu beiden Seiten und den knöcheltiefen Schlaglöchern waren auch nicht mehr das, was sie zur Zeit von Kaiser Augustus waren. Als sie ein steiles, gewundenes Gässchen den Esquilin hinauf stiegen, ließ sich Agnes erschöpft auf eine niedrige Mauer am Straßenrand nieder. »Ich habe Hunger, ich habe Durst, und meine Füße tun weh.«
»Ich kenne hier in der Nähe eine Taverne.«
Agnes sah sich um. »Wie weit ist die noch?«
»Gleich hinter der Templerherberge ›Zum Heiligen Georg‹. Siehst du, dort hinter diesem grauen Gebäude.«
»Templer?«, fragte Agnes, und ihre Müdigkeit verschwand schlagartig. »Du meinst, dort übernachten die Tempelritter, wenn sie nach Rom kommen?«
»Viele von ihnen, ja. Manchmal gewähren sie auch anderen Fremden Obdach. Weshalb fragst du?«
»Ach, ich kannte mal einen sehr netten Tempel… – oh, er war schon sehr alt«, fügte sie rasch hinzu. »Ein freundlicher alter Herr. Ich bin ihm in Mainz begegnet. Er war in Outremer und hat mir eine Menge Geschichten erzählt.«
Ulrich grinste. »Mir musst du aber keine erzählen.«
Als sie sich in der Taverne ausruhten, sagte Ulrich: »Es gibt sieben Pilgerkirchen in Rom. Natürlich habe ich sie alle schon bei unserer Ankunft in Rom besucht, aber ich würde sie mir gern noch einmal ansehen. Die nächstgelegene ist Santa Croce in Gerusalemme an der Stadtmauer. Angeschlossen ist ein Kartäuserkloster.«
»Ach, du weißt, ich halte es nicht so mit dem christlichen Glauben.«
»Auch eine Heidin wie du müsste Gefallen an ihnen finden. Es sind auf jeden Fall mystische Stätten, die große spirituelle Kräfte freisetzen. Außerdem ist es in ihren Mauern kühl, das wird uns guttun.«
Agnes seufzte. »Santa Croce? Na gut. Die anderen sechs klappern wir aber erst in den nächsten Tagen ab.«
Kurze Zeit später betraten sie das Kirchenschiff, in dem sich etliche Pilger und Mönche aufhielten. Agnes setzte sich auf eine Bank vor einem kleinen Marienaltar, während Ulrich einen Pater suchte, um ihn über die Geschichte der Kirche auszufragen. Träge verfolgte sie das Kommen und Gehen der Besucher. Was, wenn Octavien jetzt unter ihnen wäre? Was würde sie tun? Weshalb klopfte ihr Herz immer noch, wenn sie an ihn dachte? Sie war doch ein dummes Huhn, dass sie einem Mann von Stand nachtrauerte.
Ein Mönch und ein Pater gingen, ins Gespräch vertieft, an ihr vorbei. Sie schaute kurz hoch, und die Männer warfen ihr einen flüchtigen Blick zu, wie es geschieht, wenn Menschen sich kurz wahrnehmen. Dann schlug der Blitz ein. Eine oder zwei Schrecksekunden vergingen, bis der Mönch einen kehligen Laut ausstieß und sich bekreuzigte. »Heilige Jungfrau!
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