Schatten eines Gottes (German Edition)
Steuerpächter in Kapernaum.«
»Ja, ja, das wissen Wir. Und was stimmt nicht daran?«
»Der Name Herodes Antipas ist falsch.«
»So? Aber Herodes Antipas herrschte zur Zeit unseres Herrn Jesus in Galiläa.«
»Ja, das ist richtig. Er war der Nachfolger von Herodes dem Großen, dem man den Kindermord zu Bethlehem anlastet. Um ihn von diesem zu unterscheiden, gab man ihm den Beinamen Antipas. Doch dieser Name wurde erst sehr viel später bei den Christen gebräuchlich, Matthäus hätte ihn mithin gar nicht gekannt. Außerdem ist es ein schimpflicher Name. Antipas bezeichnet jemanden, der gegen alles ist, also einen Querulanten. Matthäus war Steuerpächter. Als Beamter im römischen Dienst und als Untertan des Herodes hätte er niemals gewagt, ein so wichtiges Dokument mit diesem Namen zu versehen. Er hätte geschrieben: ›… als Herodes Tetrarch war‹, oder: ›… unter der Herrschaft des Tetrarchen Herodes‹.«
Innozenz schloss die Augen und schickte ein Dankgebet zum Himmel, wo er jenen gütigen Gott vermutete, der stets auf der Seite der Kirche war. Dann öffnete er die gefalteten Hände, schaute auf seine Fingerspitzen und sagte mit Grabesstimme: »Wir glaubten schon, das Wort des Herrn in Händen zu halten, und nun ist es nichts als ein Bubenstück. Furchtbar, wirklich furchtbar.«
»Euch hindert trotzdem nichts daran, diese guten Gebote zu befolgen«, bemerkte der Rabbi trocken. Er streckte die Hand aus. »Ich bekomme zwei Silberpfennige dafür.«
»Sind Wir der Kassenwart, Jude?«, empörte sich Innozenz, doch gleich darauf bedachte er, was für einen unermesslichen Dienst ihm dieser Mann gerade erwiesen hatte. Aus einer Privatschatulle entnahm er fünf Silberlinge und drückte sie dem Rabbi in die Hand. »Hier, nehmt. Ich hörte, Ihr habt eine große Familie zu ernähren.«
Der Rabbi steckte die Münzen wortlos ein, verneigte sich und ging. Doch Innozenz hatte den respektlosen Juden schon vergessen. Er hielt sich nie lange mit einem gelösten Problem auf. Aber es gab noch ein Ungelöstes. Er ließ sofort seine Leute ausschwärmen, um den Doppelgänger Christi festzunehmen.
***
Agnes saß hinter dem ledernen Vorhang, der einen kleinen privaten Raum von ihrem Laden abtrennte, und zählte ihre Einnahmen. In der Zeit, die sie nun in Rom weilte, hatte sie sich eine hübsche Summe zusammengespart. Deshalb konnte sie sich auch einen richtigen Verkaufsstand an der Aurelianischen Stadtmauer leisten wie die anderen Händler, die mit Töpfen und Pfannen, Stoffen und Häuten, Schmuck und Krügen handelten.
Die Geschäfte gingen in Rom weitaus besser als in Mainz. Die Pilger kauften alles, was entfernt nach Bibel roch, Amulette, Heiligenbilder, nachgemachte Reliquien. Die Schweißtücher der Heiligen Veronika, die in Rom angeboten wurden, hätten wohl etliche Familien gekleidet und auch noch für ihre Bettwäsche gereicht. Alles, was angeblich aus dem Heiligen Land stammte, wurde Agnes geradezu aus den Händen gerissen. In ihrer Freizeit suchten Agnes und Ulrich in den alten Gräbern an der Via Appia Antica nach Fundstücken, sie fanden Münzen, Schmuck, zerbrochene Figuren, halb verrottete Pergamente, und alles ließ sich mit ein wenig Einfallsreichtum zu christlichen Heiligtümern umdeuten. Natürlich gab es eine Menge Konkurrenz, aber Agnes’ Schlagfertigkeit und ihre Gabe, zu jedem Stück eine kleine Geschichte zu erzählen, ließen ihr Geschäft blühen. Und seit in Rom ein neuer Jesus aufgetaucht war, ging es noch besser.
Ohne Ulrich hätte sie es jedoch nicht geschafft. Er hatte den begehrten Platz für doppelten Zins unter seinem Namen gemietet und Agnes als seine Schwester ausgegeben. Mit ihm zusammen hatte sie ein einfaches Haus in der Nähe der Porta Appia erworben, das vormals als Schafstall gedient hatte. Ulrich hatte sich als recht geschickter Handwerker erwiesen und den gemauerten Stall wohnlich gemacht. Agnes kümmerte sich um den Garten, wo sie Gemüse zog. Wenn sie auf dem Steinbänkchen auf dem Hof saß, schaute sie auf die Ruinen der Caracalla-Thermen, in deren Schatten Schafherden weideten.
Ulrich war bei ihr geblieben. Wenn er nicht gerade seine Dienste als Schreiber anbot, half er Agnes beim Verkauf. Sie hatte den Lübecker mit seiner ehrlichen Art lieb gewonnen und konnte ihn sich als Ehemann vorstellen. Er war kein Ritter wie Octavien und sah auch nicht so gut aus, aber er war freundlich, hilfsbereit und respektierte ihren Willen, mit einer festen Bindung noch zu warten. Und
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