Schatten eines Gottes (German Edition)
Octaviens Stimme machte sie sogleich hellwach. Er stand neben ihr und hielt seinen Rappen am Zügel. Etwas verschwitzt vom Ritt war er, aber ansonsten korrekt gekleidet, die Kappe kaum verrutscht, die Stiefel nur leicht angestaubt, am Rock war kein Flecken zu sehen. Wie immer. Seine tadellose Erscheinung ließ in Agnes einen widersinnigen Groll aufsteigen. »Ja, was tue ich hier? Ich zähle Fliegen. Deine famose Frau Mutter hat mich rausgeworfen.«
Octavien ahnte Ärger auf sich zukommen. Was war nun schon wieder vorgefallen in seiner Abwesenheit? Er war es leid, sich ständig zwischen den beiden Frauen aufzureiben. Hätte er nachgedacht, so wäre er wohl auf den Gedanken gekommen, dass es an ihm lag, diesen Zustand zu beenden, indem er ein mannhaftes Wort sprach, aber dazu war er nicht imstande. Er war eben doch zu sehr vom Leben verwöhnt worden und es nicht gewohnt, sich unangenehmen Konflikten zu stellen. Ihm war der Umgang mit seinesgleichen geläufig, und wer unter ihm stand, der gehorchte. Niemand vom Gesinde leistete sich Widerworte. Aber Agnes schien nur aus Widerstand zu bestehen. Die Dinge vernünftigerweise so zu nehmen, wie sie waren, fiel ihr schwer.
Octavien ließ sein Pferd grasen und setzte sich zu ihr. »Weshalb hat sie dich rausgeworfen?«, fragte er ergeben.
Agnes spürte Octaviens Unwillen, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Ihr Ärger wuchs. »Weil mein Vater gestorben ist«, zischte sie ihn an.
Octavien konnte mit dieser Aussage zuerst nichts anfangen. Doch dann schleuderte ihm Agnes die ganze Angelegenheit vor die Füße. Sie war so aufgebracht, dass Octavien sie ermahnte, sich zu beruhigen, weil die Vorübergehenden schon neugierig zu ihnen hinübersahen. Nichts war Octavien verhasster, als Gegenstand der Neugier von Untergebenen zu sein. Agnes maß ihn mit wildem Blick. »Dass die Leute über dich tuscheln könnten, regt dich mehr auf als das Verhalten deiner Mutter. Sie hat mir Geld angeboten, als müsse sie mich auszahlen für die Dienste, die ich dir im Bett geleistet habe!«
»Nicht so laut«, stieß Octavien hervor.
»Ah pah! Die ganze Welt darf es hören, wie man mich hier behandelt hat. Und dann meinte sie noch, ich solle gehen, bevor du kommst, sie wollte keine Szene.« Agnes lachte hysterisch. »Es sollte alles still und sauber vonstattengehen. Der Name Saint-Amand darf keine Flecken bekommen so wie deine Kleider. Du bist wie deine Mutter. Aber das wundert mich nicht, schließlich bist du ihr Sohn.«
Octavien seufzte tief. »Gut. Ich habe deine Seite gehört. Meine Mutter hat sich nicht richtig verhalten, und ich werde mit ihr sprechen.«
»Ha! Das kannst du dir sparen. Die ist unbeugsamer als ein Hartholzknüppel. Ich möchte nur eine Antwort von dir: Willst du mich oder Dreieichen?«
»Was für eine Frage! Dich natürlich.«
»Und wenn sie dich enterbt?«
»Das wird sie nicht, das sind leere Drohungen.«
»Dann lass dir dein Erbe auszahlen, und wir gehen woanders hin. Wir kaufen uns einen kleinen Bauernhof, wo du dich dann zwar ein bisschen einschränken musst, aber dafür hast du mich.«
»Aber das ist doch ganz unmöglich. Meine Mutter kann kein Kapital aus dem Gut herausziehen.«
»Na dann denke dir etwas anderes aus, wovon wir unser Leben fristen können. Mit deiner Mutter kann ich jedenfalls nicht zusammenleben.«
»Sie wird sich beruhigen. Ich werde mit ihr …«
Agnes erhob sich brüsk. »Du bist schon wieder beim Eiertanzen. Du wagst es nicht, deiner Mutter die Stirn zu bieten und dich auf die Seite deiner zukünftigen Frau zu stellen. Weißt du, wie man solche Männer nennt? Muttersöhnchen!«
»So sprichst du nicht mit mir!« Octavien wollte sie packen, doch sie wich ihm aus. »Wo man mich nicht haben will, dränge ich mich nicht auf. Ich habe auf dich gewartet, Octavien. Stundenlang habe ich hier gesessen. Doch jetzt sehe ich, dass du es nicht wert warst. Gehab dich wohl, ich schüttele den Staub Dreieichens von meinen Füßen, wie man so schön sagt. Bin immer allein zurechtgekommen in der Welt und werde es wohl auch jetzt können.« Sie wandte sich ab und lief, ohne sich noch einmal umzusehen, die Straße hinunter.
Octavien hielt sie nicht zurück. Wohin würde sie gehen? Sie würde bei irgendeinem Pächter übernachten und morgen wieder vor dem Tor stehen. Das war nur ihr Temperament, das mit ihr durchgegangen war. Keine Frau, die nichts hatte und nichts war, würde einen Saint-Amand und Dreieichen freiwillig aufgeben. So kindisch konnte doch nicht
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