Schatten eines Gottes (German Edition)
heute Abend erfahren.
Da kam ihr Lennhart entgegen. Seit er aus seinem Haus vertrieben worden war, war er nicht gut auf Agnes zu sprechen. Seine Miene zeigte ein süffisantes Lächeln. »Du sollst zur Herrin kommen.«
Agnes bemerkte sein boshaftes Grinsen nicht. Sie nickte nur und eilte an ihm vorüber. Atemlos erreichte sie Sieglindes Zimmer, klopfte, und als sie ein kühles »Herein« hörte, trat sie ein. Sie deutete einen flüchtigen Knicks an und sah Octaviens Mutter erwartungsvoll entgegen. Ihre Wangen waren gerötet, ihr Herz klopfte. Nun musste die stolze Frau endlich klein beigeben und einräumen, dass sie im Unrecht gewesen war.
Sieglinde wies mit nachlässiger Gebärde auf einen Stuhl. »Setz dich, mein Kind.«
Agnes gehorchte lächelnd. »Danke.«
»Nun, du wirst schon bemerkt haben, dass ich Nachricht aus der Vogtei Sponheim bekommen habe, auf die wir alle gewartet haben. Es trifft sich gut, dass mein Sohn nicht da ist, so ersparen wir uns unliebsame Auftritte.«
Agnes spürte eine Enge in der Brust. Unliebsame Szenen? Hatte ihr Vater sie verleugnet?
»Leider muss ich dir eine betrübliche Mitteilung machen. Hartwig von Eibenau ist kurz vor Ankunft meiner Boten an einer schweren Krankheit verstorben. Selbstverständlich mussten sie die Zeit der Trauer abwarten und konnten ihre Nachforschungen nicht mit der nötigen Eile durchführen. Dennoch kamen sie mit einer klaren Aussage zurück: Der Vogt hatte zwei Söhne, von denen der Jüngere vor einiger Zeit verstarb. Konrad, der Ältere, wird nun das Erbe antreten. Eine Tochter hat Hartwig nie gehabt. Das wurde von allen Seiten bestätigt.«
Agnes schlug die Hände vor das Gesicht. Tot! Damit war alle Hoffnung dahin, zu beweisen, dass sie eine von Eibenau war. Ihre Mutter hätte wohl die Vaterschaft Hartwigs bezeugen können, doch wer glaubte einer Schankwirtin? Und selbst wenn, Hartwig von Eibenau konnte diese nicht mehr bestätigen.
Agnes hörte Sieglindes kühle, leicht triumphierende Stimme: »Ich möchte, dass du deine Sachen packst und Dreieichen verlässt, bevor Octavien zurück ist. Ich werde dir eine beträchtliche Summe aushändigen, sodass du keine Not leiden musst. Nimm mein Angebot an und erspare uns allen auf diese Weise eine Szene, die nichts ändern würde, denn eine Hochzeit kann es natürlich unter diesen Umständen nicht geben. Sollte Octavien sich dem widersetzen, würde ich ihn enterben. Das wirst du sicher nicht wollen.«
Inwendig wurde Agnes ganz kalt, aber auch ganz ruhig. Ja, sie würde gehen, denn mit dieser Frau gab es kein Zusammenleben. Aber nicht ohne Octavien. Mochte das Gut dahinfahren. Sollte Octavien sich aber für Dreieichen entscheiden, dann bewies er damit, dass er sie nicht liebte, nie geliebt hatte. Und dann lohnte es auch nicht, seine Ehefrau zu werden. Denn ein Mann musste alles für seine Frau geben, so wie sie alles für ihn geben würde.
Agnes erhob sich. Stolzer konnte keine Königin vor Sieglinde stehen. »Behaltet Euer Geld. Ich gehe, aber Ihr werdet auch Euren Sohn verlieren.« Dann wandte sie sich brüsk ab und verließ den Raum.
Sie packte ein paar Kleider und ein Paar Schuhe ein, außerdem ihre Barschaft, die sie seit Rom nicht mehr angerührt hatte, und marschierte die Straße hinunter, die ins nächste Dorf führte. Sie ruhte sich auf einem Feldstein am Straßenrand aus. Octavien musste hier vorbeikommen, denn es war die einzige Straße nach Dreieichen. Zuerst kamen einige Feldarbeiter, sie grüßten untertänig. Agnes tat unbekümmert, biss in einen Brotkanten und winkte ihnen zu. Aber ihr Inneres war in Aufruhr. Was würde Octavien sagen? Was würde sie ihm antworten? Wie würde es weitergehen? Die Fragen purzelten umeinander wie Garben auf dem Feld bei stürmischem Wetter.
Je länger sie hier saß und grübelte, desto ungehaltener wurde sie über Octaviens Ausbleiben. Auf dem Gut hatte sie sich stets beschäftigt, da war es ihr nicht aufgefallen, aber auf einem harten Stein sitzend, das Herz voller Groll und voller Ängste, das dehnte die Zeit ins Unermessliche.
Als er kam, bemerkte sie ihn zuerst nicht. Die Arme auf den Knien, den Kopf in die Hände gestützt, saß sie nach vorn gebeugt, eingesponnen in ihre rabenschwarzen Gedanken.
»Was machst du denn hier?«
Agnes schreckte hoch. Ständig waren Geräusche an ihr vorübergezogen, die sie nur entfernt wahrgenommen hatte: das Rumpeln der Ochsenkarren, schwatzende Feldarbeiter, Kühe auf dem Heimtrieb, schnatternde Gänse und Mägde. Aber
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