Schatten eines Gottes (German Edition)
»Aber noch lebt Innozenz. Und wenn er tot ist, wie viele stehen auf Eurer Seite, Meister?«
»Genug. Wir müssen uns in Geduld üben. Wir haben einen Rückschlag erlitten, sind aber nicht gescheitert.«
Geduld war eine jener Eigenschaften, von der Sinan nicht allzu viel besaß. »Und was bleibt mir dabei zu tun übrig? Sollte ich nicht doch nach dem Pergament suchen, das doch umso wichtiger wird, wenn Ihr den Heiligen Stuhl besteigt.«
»Nach dem Mönch habe ich schon andere ausgeschickt. Du bist mir zu wertvoll, dich möchte ich in meiner Nähe behalten, wenn die Lage sich zuspitzt. Ich gebe zu, anfangs war ich nicht erfreut über dein Erscheinen, aber ich habe nachgedacht und bin geneigt, es als ein günstiges Vorzeichen zu betrachten. Ja, es ist gut, dass du hier bist. Ich brauche dich, Sinan.«
Obwohl Sinan die Versicherung seines Meisters als Lobhudelei durchschaute, war er doch ein wenig geschmeichelt. Er brummte etwas Unverständliches, das als Zustimmung gewertet werden konnte. Dann legte er herausfordernd den Arm um Nicholas und grinste Nathaniel an. Irgendwie hatten beide das Gefühl, gewonnen zu haben.
Keine Hochzeit auf Dreieichen
Octavien bewohnte jetzt den Anbau des Gutsverwalters Lennhart, während Agnes ein Zimmer im Haupthaus zugewiesen worden war. Sieglinde hatte darauf bestanden, denn solange Octavien nicht verheiratet war, lebte er in Sünde, und das duldete sie nicht auf Dreieichen. Zwar fanden die beiden Liebenden immer ein Plätzchen, wo sie der Sünde ein Schnippchen schlagen konnten, und jeder auf dem Gut wusste das, aber Sieglinde hatte wenigstens den Schein gewahrt. Eine Hochzeit, so hatte sie erklärt, würde es nur geben, wenn Agnes so standesgemäß war, wie sie behauptete. Leider ließen die Boten, die sie nach Sponheim geschickt hatte, sich Zeit.
Agnes vertrieb sie sich auf ihre Weise. Sie zögerte nicht, sich an den Arbeiten zu beteiligen, die auf einem Gut gewöhnlich anfielen, sonst wäre sie vor Langeweile gestorben. Die Tätigkeiten einer adeligen Dame fanden keine Gnade vor ihren Augen. Sticken, Weben, mit weiblicher Anmut Gedichte vortragen und ansonsten den Mund halten, das war nichts für sie. Da setzte sie sich lieber zu den Mägden, mit denen sie lachen, singen und tratschen konnte. Außerdem versorgte sie diese mit allerlei Arzneien aus ihrer Kräuterapotheke, was sie bald bei allen beliebt machte. Natürlich stieß ihr Verhalten bei Octavien auf Unverständnis, aber Agnes setzte wie immer ihren Kopf durch. »Was willst du?«, sagte sie schnippisch. »Wir sind schließlich noch nicht verheiratet.«
In Sieglindes Augen bestätigte Agnes’ Verhalten nur das, was sie immer von ihr gehalten hatte. Eine, die sich unter Mägden wohlfühlte und mit ihnen die niedrigen Arbeiten tat, die wollte ein Edelfräulein sein? »Du musst zugeben«, sagte sie zu Octavien, »es ist geradezu impertinent von dieser Person, uns so lächerlich zu machen. Du hast doch keine Beweise für ihre angeblich adelige Herkunft. Woher willst du wissen, dass sie dich nicht angelogen hat? Vertraust du ihr mehr als dem feinen Gespür deiner Mutter?«
Octavien geriet ins Grübeln. Hatte Agnes gelogen? Vielleicht, aber was spielte das für eine Rolle? Er liebte sie nicht wegen eines Adelstitels. Doch das hätte seine Mutter nicht verstanden. Trotzdem belastete die Ungewissheit ihre Beziehung. Das Warten auf die Boten zerrte an ihren Nerven. Die Untätigkeit machte Octavien gereizt. Er verbrachte die Tage mit Freunden auf der Jagd oder unternahm einsame Ausflüge aufs Land, um sowohl den Vorwürfen seiner Mutter als auch der spitzen Zunge Agnes’ zu entfliehen. Häufig dachte er dann an Emanuel und wie er mit dem starrsinnigen Mönch durch die Lande gezogen war. Wie mochte es ihm in Neubabylon ergehen? Wahrscheinlich hockte er zwischen hohen Bücherstapeln und vergaß die Welt. Beneidenswert. Er musste sich nicht um die Niederungen des Alltags kümmern.
Es war ein sonniger Tag im März, als die Boten aus Sponheim zurückkehrten. Agnes hockte mit zwei Mägden vor einem großen Schuppen und zupfte Wolle, als sie die beiden Männer in den Hof einreiten sah. Sie sprang auf, aber dann besann sie sich. Selbstverständlich würden sie ihr keine Auskunft erteilen, bevor sie nicht der Gutsherrin Bericht erstattet hatten. Sie ließ die Schütte fallen und lief zu den Stallungen hinüber. Octaviens Pferd war nicht da.
Schon wieder ausgeritten,
dachte sie enttäuscht.
Na, dann wird er die gute Nachricht eben erst
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