Schatten eines Gottes (German Edition)
androhen oder ihn gar umbringen. Sinan war stets dem Töten zugeneigt, was zuweilen nützlich war, aber er durfte nicht selbstherrlich über Leben und Tod entscheiden, das tat immer noch der Meister. Deshalb fasste er einen Entschluss.
Sinan und Nicholas saßen an einem Brunnen, der an seinen vier Ecken mit Wasser speienden Tritonen besetzt war. Wie alles in Nathaniels Umgebung war er von vollendeter Schönheit, doch Sinan beachtete ihn nicht. Offensichtlich gelangweilt rieb er seinen Dolch mit Spucke blank. Wer mochte wissen, zu welchen Mordgedanken ihn dieser wieder beflügelte. Nicholas hielt sein Gesicht in die Sonne und die Augen geschlossen. Da fiel Nathaniels Schatten auf sie. Nicholas öffnete die Augen und blinzelte ihn an, während Sinans mürrischer Blick weiterhin auf den Dolch gerichtet blieb.
»Darf ich mich dazu setzen?«
Sinan blieb Nathaniel eine Antwort schuldig, Nicholas nickte mechanisch. Er war zu höflich, einer so einfachen Bitte mit Nichtachtung zu begegnen. Als Nathaniel sich neben Nicholas auf den Brunnenrand setzte, fauchte ihn Sinan an: »Dass Ihr Euch nur nicht beschmutzt. Gebt Acht! Gleich wird er Euch die Kleider vom Leib reißen und Gold dafür verlangen. So einer ist er, der Nicholas.«
Nathaniel war über derartig zänkische Angriffe erhaben, wenngleich sich Sinan ihm gegenüber noch nie so verhalten hatte. Er legte seine Hände im Schoß übereinander. »Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen. Gestern war ich gereizt, mein Kopf war voll … gewiss, das ist keine Rechtfertigung, der Meister des Lichts sollte sich stets in der Gewalt haben.«
Sinan antwortete nicht. Nicholas sah Nathaniel prüfend an. Auch er schwieg.
»Das Gerüst des Hauses, das ich errichtet habe, ist äußerst fragil und könnte leicht einstürzen.«
»Fragile Gerüste!«, schnaubte Sinan. »Es wäre hilfreich, wenn ich erführe, was für ein Haus das ist, wer daran baut und wer dort einziehen wird. Und ob ich darin eine Kammer bewohnen werde oder im Pförtnerhaus logieren soll.«
Nathaniel lächelte über Sinans Eifer. »Das Haus, Sinan, das kennst du wohl. Es ist die Bewegung. Und wir alle bauen an ihr, dass sie zu einem Turm werde, der alles überragt. Dein Platz darin ist an hervorragender Stelle.«
Sinan rammte den Dolch in den Erdboden. »Schwammige Erklärungen! Ich verlange, konkrete Pläne zu hören.«
»Du verlangst? Ich weise dich darauf hin, dass du mir Respekt und Gehorsam schuldest. Jemand, der zum Parsen geweiht werden möchte, hat diese Dinge verinnerlicht.«
»Aber ich fühle mich hingehalten.«
»Du vertraust mir nicht? Nun, so will ich dir mehr erzählen. Und damit du mir glaubst, werde ich es vor den Ohren deines – ähm – deines guten Freundes tun. Er mag bleiben. Aber er weiß, dass er schweigen muss.«
»Ihr müsst nicht in der dritten Person über mich reden«, warf Nicholas verärgert ein. »Ich weiß, wann ich schweigen muss.«
Sinan warf ihm einen zärtlichen Blick zu. Er war stolz auf ihn, dass er dem Meister die Stirn bot. »Nicholas ist jener Knabe, der den Kinderkreuzzug angeführt hat«, klärte er Nathaniel auf. »Er hat in seinen jungen Jahren mehr erlebt als mancher Greis, der hinter dem Ofen gesessen hat.«
Nathaniel war tatsächlich verblüfft. »Du bist das? Es hieß, der tolle Knabe sei bei dem Abenteuer umgekommen. Ich freue mich, dass dem nicht so ist. Allerdings …« er zögerte und sah abwechselnd Sinan und Nicholas an. »Wo stehst du heute?«
»Wie meint Ihr das?«, fragte Nicholas.
»Er steht fest zu mir und zu den edlen Grundsätzen der Bewegung«, ergriff Sinan barsch das Wort.
Nicholas nickte. »Ich bin kein Christ mehr, wenn es das ist, was Ihr wissen wolltet. Ich kenne Eure Bewegung, Eure hehren Ziele, ich kenne Eure zehn neuen Gebote. All das steht meinem Herzen sehr nahe, nicht erst seit heute. Ich war nie ein Christ, weil ich den Papst liebte. Versteht Ihr?«
»Hm, wenn das so ist, dann heiße ich dich als Mitglied willkommen. Sinan bürgt für dich. Einen besseren Bürgen kann ich mir nicht vorstellen.«
Nathaniel war es gelungen, ein flüchtiges Lächeln auf Sinans Lippen zu zaubern. Nathaniel faltete seine Hände, als stehe er vor etwas Neuem. Und dann klärte er Sinan über sein Gespräch mit dem Papst auf und was seine Pläne waren. »Ich rechne damit, dass mich Innozenz demnächst zum Kardinal ernennt. Damit wären wir einen gewaltigen Schritt weiter.«
Sinan nickte nachdenklich. Beinahe war er schon wieder versöhnt.
Weitere Kostenlose Bücher