Schatten eines Gottes (German Edition)
gegenüberzutreten, ließ Nicholas innerlich erbeben. Was, wenn das, woran er sich erinnerte, kein Traum war? »Hast du – hast du seine Hände gesehen?«, rief er von der Treppe her.
»Seine Hände?« Die Tante lachte ihr dunkles Lachen, das Nicholas immer schon an ihr geliebt hatte. »Ich achte nicht auf die Hände eines Mönches, das ziemt sich nicht. Was soll denn mit ihnen sein, mit seinen Händen?«
»Nichts«, nuschelte Nicholas. »Ich wollte nur wissen, ob dir etwas aufgefallen ist.«
»Nein, nichts, was sollte mir denn an ihnen auffallen?«, fragte die Tante, während sie die Dellen der Bettdecke glatt strich.
»War da etwas an seinen Handflächen?«
Die Tante steckte den Kopf zur Tür hinaus. »Nein. Das waren ganz normale Handflächen.«
»Ich dachte, du hast nicht auf sie geachtet?«
»Geachtet nicht, aber gesehen habe ich sie trotzdem.«
»Hatten sie – ich meine, hatten sie irgendwelche Flecken?«
»Du meinst, ob sie schmutzig waren? Das waren sie nicht. Glatt und rein waren sie wie ein geschrubbter Kinderpopo. Ich weiß es genau, denn ich hatte mich noch darüber gewundert. Die Bettelmönche haben es gewöhnlich nicht so mit der Reinlichkeit.«
Nicholas stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Danke liebe Tante, danke!«
Doch nur ein Traum,
dachte Nicholas, während er die Stufen zur Küche hinunterhüpfte.
Der Mönch saß am großen Küchentisch vor einer geleerten Schüssel und schwatzte mit Elisa, dem Küchenmädchen. Als Nicholas eintrat, winkte er ihm lächelnd zu. Dieses offene Lächeln nahm Nicholas gleich alle Befangenheit. Außerdem hatte er sofort bemerkt, dass sich an der winkenden Hand kein Wundmal befand. Erleichtert setzte er sich ihm gegenüber an den Tisch. Elisa wurde rot, knickste und machte sich schnell daran, einen Haufen geschälter Zwiebeln feinzuhacken. Die kleine hübsche Lisbeth, fünfzehn Jahre alt und im Haus Hardevust aufgewachsen, brachte Nicholas seine Lieblingsgrütze mit Honig.
Nicholas bedankte sich und begann zu essen, dabei vermied er es, dem Mönch ins Gesicht zu sehen. Über die Franziskaner wusste er so gut wie nichts, doch in der Gegenwart dieses Mannes fühlte er sich winzig. »Seid bedankt für Eure Mühe«, murmelte er. »Der Tag gestern war wohl doch etwas anstrengend, und da bin ich einfach eingeschlafen. Ich hoffe, man hat es Euch entsprechend gelohnt?«
»Mit einer wunderbaren Gemüsesuppe und frisch gebackenem Brot. Es war köstlich.«
»Was sagt ein frommer Mann wie ihr über die Lichterscheinungen in der Nacht?«
»Oh, sie waren wundervoll, nicht wahr? Ich weiß nicht, wie sie entstehen oder was sie bedeuten. Gott verrät uns nicht alle seine Geheimnisse, und das ist gut so. Es gibt jedoch Gelehrte, die halten sie für ein gewöhnliches Naturphänomen wie Wolken und Gewitter, Sturm und Regen.«
»Ich finde, Gewitter sind unheimlich. Irgendwie heidnisch.«
Der Mönch nahm sich noch eine Scheibe Brot aus dem Korb. »Daran ist etwas Wahres. Der zuckende Blitz, der rollende Donner, sie sind zum Fürchten, kein Wunder, dass man sie früher für Götter hielt. Doch wir Christen haben diese Furcht überwunden, der Herr sei gelobt.«
»Amen«, sagte Nicholas, dabei konnte er es nicht vermeiden, auf die Hände des Mönchs zu schielen. Die Tante hatte recht, da war nichts, nicht einmal ein winziger Punkt.
»Du bist ein außergewöhnlicher Junge, Nicholas.«
Nicholas spürte, wie sich sein Inneres verkrampfte. Im Traum hatte er den Mönch für Gottes Sohn gehalten. Was für eine Blasphemie! Nicholas meinte, sein Herz müsse bei diesem sündhaften Gedanken zerspringen. Satan selbst, der große Verführer, musste ihm diesen verwerflichen Stolz eingegeben haben, zu glauben, der Heiland ließe sich von allen Menschen ausgerechnet zu Nicholas Hardevust herab. Er würde das beichten müssen, gleich nach dem Frühstück. Andererseits – es war doch nur ein Traum. Oder vermochte er Traum und Wirklichkeit nicht mehr zu unterscheiden?
»Kann ich vielleicht etwas für Euch tun? Braucht jemand bei euch Hilfe?«
»Nicht ich. Die Stadt braucht deine Hilfe, das Land, die gesamte Christenheit, die gesamte Welt.«
Nicholas lachte unsicher. Er warf einen raschen Blick hinüber zu Lisbeth und Elisa, die am Herd standen und ihre Köpfe zusammensteckten. Die beiden hatten ständig etwas miteinander zu tuscheln, und es war Nicholas gar nicht recht, dieses Gespräch vor ihren Ohren weiterzuführen. »Das ist ein Scherz«, murmelte er.
»Denkst du nicht,
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