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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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Belästigungen dabei ausgesetzt gewesen. Doch sooft er es ihr auch anbot, lehnte sie es immer ab. Sie hatte keine Lust, die Stimme eines Muezzins von einem der Minarette zu vernehmen, keine Lust, dem Feilschen und Handeln der Tataren, das stets mit Beteuerungen beim Barte oder beim Augenlicht des Propheten einherging, zuzuhören, und am allerwenigsten wohl Lust, meine ich, zuzusehen, wie ihr eigener Mann, in muselmanischer Kleidung einhergehend, den Turban fest um die Pelzmütze geschlungen, seinen Bekannten den Gruß nach Art dieser »Heiden« entbot.
    Auch mich ließ sie nicht auf die Straße. Kaum, dass es mir gelang, durch das Pförtchen in den äußeren Hof zu schlüpfen, wo mein Vater seine Besucher empfing. Ich war natürlich neugierig, wie alle Kinder sind, und hätte mich am liebsten heimlich hinausgeschlichen, doch ihrer Aufmerksamkeit entging es niemals, wenn ich mich von ihr entfernte, und immer ließ sie mich schleunigst von einer alten Dienerin zurückholen, noch ehe ich das Eingangstor unseres Hauses erreicht hatte. Ich mochte trotzig sein soviel ich wollte – schreien, mit den Füßen aufstampfen – sie schlug mich nie, gab mir kein böses Wort, umschlang mich nur mit den Armen und weinte, und ihre Tränen konnte ich nicht ertragen. So kam es, dass ich bis zu meinem sechsten Lebensjahr völlig von der Außenwelt abgeschirmt war und nichts von dem erfuhr, was sich außerhalb meines so eng begrenzten Lebensraumes abspielte.
    Dieses friedlich abgesonderte Leben meiner Kindheit wurde eines Tages jäh durchbrochen.
    Ganz außergewöhnlich und mich im tiefsten Herzen erschreckend war ein erregter Wortwechsel zwischen meinen Eltern. Noch niemals hatte ich meine Mutter so schreien und weinen gehört. Ich lief hinzu, sah sie vor meinem Vater am Boden liegen, seine Knie umfassend, und hörte immer nur dieselben Worte: »Nein, du darfst mir das nicht antun! Nein, du kannst mir das nicht antun!« Und die Antwort meines Vaters: »Er ist mein Sohn! Ich kann ihn nicht auf ewig hier in deinem Schneckenhause eingesperrt halten.« Um mich also ging es, um mich! Was hatte mein Vater mit mir vor?
    Ich drängte mich zwischen die beiden, und meine Mutter ließ die Knie meines Vaters los, erhob sich, schloss mich in die Arme, und ihre Tränen flössen auf meinen Scheitel. »Beruhige dich, Liebe«, sprach mein Vater nun begütigend auf sie ein. »Du musst mich anhören. Du musst mich verstehen. Ich habe dich immer verschont mit Berichten von den Kämpfen, die ich hier mit all den Neidern und Widersachern auszufechten hatte. Ich habe dir ein Leben ermöglicht, das deiner Art und deinem Wunsch entsprach, und habe es dir gegönnt. Dass Timur von seinem Feldzug gegen China nicht als Sieger heimkehrte, dass er seine gewalttätige Seele einem noch Gewalttätigeren, nämlich dem Tod, überlassen musste, hast ja selbst du erfahren. Was meinst du, wie viele es da an diesem Hof gegeben hat, die mir, dem ehemaligen Stallknecht, dem Emporkömmling, am liebsten an die Gurgel gefahren wären!
    Zum Glück fanden sich andere einflussreiche Männer, die mir wohlwollten, so Muhammad Ben Ala-eddin, dem ich in der Falknerei zur Hand ging und der mir bereitwillig seine Kunst beibrachte, als er merkte, dass ich mit Leib und Seele bei der Sache war, und nicht zuletzt der Perser Achmad ben Nisam, einer der einflussreichsten Männer am Hofe Timurs, dem ich einmal einen großen Dienst geleistet hatte.
    Er schlug sich auf die Seite von Timurs Enkel Chalil, der sich nach dem Tode seines Großvaters Samarkands bemächtigt hatte, und führte ihm auch seine geliebte Sklavin Schad-i Mulk wieder in die Arme, die Chalil nun endlich zu seiner Gattin machen konnte …«
    Hier unterbrach ihn meine Mutter. »Schad-i Mulk?« fragte sie bewegt, »die kenne ich gut! Tökel hatte ja Timur gegen Chalil aufgehetzt, weil er diese Sklavin heiraten wollte, eine Frau, die ihm nicht ebenbürtig war – und die vielen Demütigungen, die die Arme von der hochmütigen Chanstochter zu erdulden hatte, wird sie freilich niemals vergessen. Vielleicht aber auch nicht, dass ich es war, die der Weinenden oft Trost zugesprochen hat. Bring mich zu ihr! Sicherlich werde ich sie dir günstig stimmen.«
    »O du Kind!« antwortete mein Vater. »Sie kann uns nichts mehr nützen. Chalil musste gegen seinen ehemaligen Erzieher Chodaj-dad zu Felde ziehen, er wurde geschlagen und samt seiner Gattin gefangen genommen. Chodaj-dad setzte sich in Samarkand fest, wollte aber schließlich mit

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