Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
los wie unter Nero oder Diokletian. Willst du das heraufbeschwören?«
»Du giltst als Moslem?« fragte sie und tat einen Schritt zurück. »Und warum hast du dann über dich und mich, über Brot und Wein das Kreuz geschlagen? Hattest du da nicht Angst, enthauptet zu werden?«
»Das ist unser Geheimnis. Und kann mir nur dann das Leben kosten, wenn du mich verrätst. Davor aber hatte ich keine Angst.«
»Schwörst du mir dann, dass du mich vor Gott zu deinem christlichen Eheweib nimmst und mir treu bleibst, bis der Tod uns scheidet? Schwörst du mir, dass du unsere Ehe von einem Priester einsegnen lässt, sobald wir von hier freikommen und wieder unter Christenmenschen leben können?« Er schwor es ihr. Ich glaube, es hätte nichts gegeben, was er ihr in dem Augenblick nicht geschworen hätte, um sich ihre freudige Hingabe zu erwerben. Und sie besiegelte seinen Schwur mit dem ihren. So wurden sie Mann und Frau.
Alles, was ich bis jetzt geschrieben habe, kenne ich selbstverständlich nur aus dem Bericht meiner Eltern. Nun aber komme ich zu dem Punkt, wo sich in meiner Erinnerung der Vorhang hebt und das Bild der eigenen Erlebnisse vor meinen Augen deutlich zu werden beginnt.
Das Erste, was ich sehe, ist der innere Hof im Hause meines Vaters.
Dieses Haus war ebenerdig und bestand, wie die meisten in Samarkand, aus zwei deutlich voneinander getrennten Teilen. Durch einen engen finsteren Torgang gelangte man in den ersten Hof, der an drei Seiten von dem Gebäude eingeschlossen und an der Vierten durch eine Mauer abgegrenzt wurde. Durch diese Mauer führte nur ein niederes Pförtchen zum inneren Hof, und um diesen herum befanden sich die eigentlichen Wohnräume, während die Räume um den äußeren Hof zum Empfang der Gäste und zum Aufenthalt der Dienerschaft verwendet wurden.
Der innere Hof und die Flucht der Zimmer, die ihn umsäumten und deren Türen und Fenster ihm sämtlich zugekehrt waren, bildete das Reich meiner Mutter. Hier war alles nach ihrem Geschmack eingerichtet, denn der Vater ließ ihr darin völlig freie Hand. Sie verbannte daraus jedes Ding, das sie an die verhasste Fremde hätte erinnern können, selbst die schön geknüpften persischen Teppiche, die auf Truhen und Lagerstätten ausgebreitet lagen, mussten nach und nach jenen weichen, die sie mit eigener Hand herstellte oder nach ihren Entwürfen von Mägden herstellen ließ.
Ihre Dienerschaft bestand ausschließlich aus Georgiern. Mein Vater holte ihre unglücklichen Landsleute zusammen, wo immer er sie auftreiben konnte. In den ersten Jahren meiner Kindheit hörte ich fast nur die Laute dieser Sprache, meine Mutter jedenfalls richtete nie ein anderes Wort an mich, und selbst mein Vater erlernte sie mit mir zusammen und erfreute damit meine Mutter unbeschreiblich.
Der innere Hof enthielt ein nicht allzu kleines Wasserbecken, etwa eine Elle tief, in das aus dem Staubecken am Markt das Wasser durch eine Bleiröhre geleitet wurde wie in alle Häuser von Samarkand. Hier planschte ich mit meinen Spielkameraden, den Kindern unseres Gesindes, die neben mir aufwuchsen. Geschwister hatte ich nicht. Zum Leidwesen meiner Eltern blieb ich ihr einziges Kind.
Sommers sprangen wir im Schatten der alten Platane zwischen Blumenbeeten herum, kletterten auch, als wir älter wurden, in ihre Äste hinauf und bauten uns dort luftige Nester. Winters hockten wir um die Kohlenfeuer der Mangale und hörten den Geschichten zu, die die Erwachsenen sich und uns erzählten: Es waren georgische Märchen, georgische Geschichten, georgische Lieder, denn meine Mutter duldete keine anderen. So wurde mir die heilige Nino bald eine vertraute Gestalt, sie, die als Kriegsgefangene in das Haus des Königs Mirian kam und ihn zum Glauben an Jesus Christus bekehrte und somit von Gott gewürdigt wurde, den Grundstein zur Ausbreitung des Christentums in Georgien zu legen (oh, meine Mutter war stolz, ihren Namen zu tragen!). Mit keinem Wort erwähnt wurde jedoch der Prophet Muhammad, dessen Lehre seine Anhänger mit Feuer und Schwert weit in die Länder Asiens und Afrikas hineingetragen haben, die aber die Herzen der Georgier niemals erreicht hat.
Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Mutter diesen Teil des Hauses und den inneren Hof jemals verlassen hat. Da sie keine Muselmanin war, hätte niemand es ihr verargt, wenn sie sich in der Stadt gezeigt, den Basar besucht und sich an seinem bunten Treiben ergötzt hätte. Und in meines Vaters Begleitung wäre sie auch durchaus keinen
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