Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
Sagte: »Verzeih, Dschirdschis, dass ich abgeschweift bin. Die Sterntafeln sollte ich dir doch zeigen, den Dschaib erklären, so hat es unser Sultan angeordnet.«
Er brachte einen Stoß von Papieren, die mit einer Unzahl von Zahlen und Zeichen bedeckt waren, und breitete sie vor mir aus. »Über tausend Sterne sind hier verzeichnet«, sagte er stolz, »wenn du es genau wissen willst: tausendundneunzehn. Wir haben ihre Bahnen erkundet, ihre Meridianhöhen gemessen und, was das Wichtigste ist: Alles, was hinsichtlich des Laufes der Planeten, der Sonne und des Mondes durch Beobachtung und Berechnung in Erfahrung zu bringen war, ist diesen Tafeln anvertraut worden.« Ich freilich konnte ihnen nichts anderes entnehmen als die verwirrende Vielzahl von Ziffern und Buchstaben, die sich meinem Verständnis entzog.
Ali Kuschtschi merkte das, und ein Lächeln trat in sein Gesicht. »Komm«, sagte er, »ich will dir unsere Instrumente zeigen, dann kannst du dir vielleicht ein besseres Bild von unserer Arbeit machen.« Und er führte mich viele Stufen hinab und stieß endlich eine Tür auf, so dass ich Einblick gewann in einen riesigen kreisrunden, von hohen Mauern umgebenen Saal, in den das pralle Sonnenlicht fiel, weil er durch kein Dach vom Himmel abgeschirmt war. Ich muss sagen, dass mich zu allererst die Bilder fesselten, die rundum die Wände schmückten. Ali Kuschtschi merkte das und begann, sie mir zu erläutern.
»Hier siehst du die sieben Himmel und das Abbild ihrer Kreise mit Graden, Minuten und Sekunden, ja den Zehnteln von Sekunden. Und hier sind die verschiedenen Klimazonen der Erde dargestellt: Berge, Meere, Wälder, Wüsten mit allem, was dazu gehört, dem ganzen Getier, den Vögeln, den Fischen des Meeres, den Pflanzen der Erde, den Felsen der Bergregionen.«
Er ließ mir Zeit, das alles zu betrachten, denn wahrlich etwas Ähnliches hatte ich noch nirgendwo gesehen. Wohl gibt es im Abendland, und insbesondere in Italien, Bilder von großer Schönheit, wie sie der Morgenländer nicht kennt, dem ja Muhammad das Nachbilden von Allahs Schöpfung verboten hat. Aber sie dienen der Augenlust und erzeugen im Betrachter die Stimmung, in die der Maler ihn versetzen will. Diese Bilder jedoch waren, trotz all ihrer Farbenpracht und ihres künstlerischen Geschmacks, zur Belehrung bestimmt und erzeugten nicht Stimmungen, sondern Einsichten. Ich konnte sie in Musse betrachten, denn Ali Kuschtschi ließ mir Zeit dazu. Erst als ich mich an ihnen satt gesehen hatte und meinen Blick wieder ihm zuwandte, sagte er: Das Fundament dieses Hauses ist so sicher wie die Grundfesten der Macht und Majestät unseres Herrn. Die Stelle, auf der es errichtet wurde, ist nach der Wahl des hochberühmten Astronomen Dschamschid Ben Meschud bestimmt worden, der einen glücklichen Stern entdeckt hatte und nach diesem den Ort herausfand. Das Fundament wurde abgesichert, indem man es dem Grund des Berges anpasste, und die Eckpfeiler ließ man so in den Felsen ein, dass der Bau bis zum Tage des Jüngsten Gerichtes vor Erschütterung und Einsturz geschützt ist.« (O ja, vor den Naturgewalten konnte man ihn absichern, nicht aber vor der Zerstörungswut hasserfüllter, irregeleiteter Menschen!)
Sonderbarer und beeindruckender noch als die Bilder, die die Innenwände der hohen Mauern zierten, war etwas anderes: In einem schmalen Graben, der inmitten dieses Riesensaales etwa fünf Klafter tief in den Felsgrund eingehauen worden war, lief auf marmornen Platten ein kupfernes Band, erhob sich aus dem Schacht und wurde von einer Ziegelmauer in die Höhe getragen, so dass es den Bogen eines Viertelkreises beschrieb, der gute fünfzehn Klafter hoch über den Erdboden ragte. »Dieses ist unser Quadrant«, erklärte mir AH Kuschtschi. »Die, die du bis jetzt gesehen hast, waren sicherlich viel kleiner. Mann kann auch mit solchen arbeiten, aber je größer der Quadrant ist, desto genauer werden natürlich auch die Messungen sein, deshalb scheute Ulug Beg diesen Aufwand nicht.« Ich musste gestehen, dass ich noch keinen einzigen gesehen hatte, weder einen kleinen noch einen großen, und AH Kuschtschi erläuterte mir seinen Sinn mit viel Geduld. »Er ist genau in die Meridianlinie eingebaut. Und siehst du dort an der Außenwand, senkrecht über dem unteren Bogenende, im Abstand des Krümmungsradius die kleine Maueröffnung? Wenn du nun jenen verschiebbaren Diopter, der auf dem Kupferband entlangläuft, so einstellst, dass du durch ihn und durch die Mauerlücke
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