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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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führt. Und Al-Battani und Abul Wefa haben schon vor vierhundert Jahren den Dschaib von den Indern übernommen, und wir hier haben mit seiner Hilfe Sterntafeln hergestellt, die viel genauer sind als die des Ptolemäus.
    Geh, Ali, zeige dem Dschirdschis diese Tafeln und erkläre ihm den Dschaib, damit er sich davon überzeugen kann.« Nun war doch wieder eine gewisse Wärme in den Ton seiner Stimme gekommen. Gleichzeitig aber winkte er mit der Hand zum Zeichen, dass ich entlassen sei. Ich neigte mich vor ihm zu Boden, um den Saum seines Gewandes zu küssen, und tat das mit einem zwiespältigen Gefühl. Hatte ich ihn enttäuscht, weil ich ihm nichts zu berichten wusste, was seine Wissenschaft hätte fördern können, oder überwog die Genugtuung darüber, dass er sich als ein Gelehrter bestätigt sah, der auch im Abendland von niemandem übertroffen wurde?
    Ali Kuschtschi führte mich dann in seinen Arbeitsraum, der um ein Stockwerk tiefer lag.
    Ali Kuschtschi. Er war kaum älter als ich, ein Türke und ein außergewöhnlich vielseitiger Mann. Auf meine Frage, warum man ihn »Kuschtschi« nenne, was »Falkner« bedeutet, antwortete er: »Weil das, neben der Astronomie, meine Leidenschaft ist.
    Du musst wissen, Dschirdschis, dass ich der Sohn eines Falkners bin. Mein Vater, Muhammad Ben Ala-eddin, war ein angesehener Mann am Hofe Ulug Begs, der ja die Vogeljagd über alles liebt. Er wollte mir sein Handwerk beibringen, aber mehr als dieses zog mich die Wissenschaft an, und ich setzte es durch, dass ich bei dem unvergesslichen Kasisadeh ar-Rumi, den unser Sultan von Brussa an seine Sternwarte berufen hatte, Astronomie studieren durfte. Doch als mein Vater bald darauf starb, trieb mich die Wanderlust – du weißt ja, wie die jungen Leute sind – fort aus dieser Stadt. Ich ging nach Karmana in Persien, als ob ich dort bessere Lehrer hätte finden können! Nun, bald merkte ich, dass das nicht der Fall war, und schon wollte ich meine Schritte noch weiter lenken – nach Bagdad, nach Damaskus, nach Kairo, nach Allah weiß wohin –, als Ulug Beg einen Boten nach mir schickte. Kasisadeh war gestorben, und da ich mir schon mit einer Veröffentlichung einen Namen gemacht hatte (doch Allah allein gebührt der Preis, der mich mit Verstand begnadet hat!), wurde ich zu seinem Nachfolger als Leiter der Sternwarte berufen. So habe ich von der schönen Welt wenig gesehen, dafür desto mehr von dem unermesslichen Himmel, der sich über ihr wölbt. Als ich nach Samarkand zurückkam, war ich sehr erstaunt, dass die erste Begegnung, die ich mit unserem Sultan hatte, auf einer Vogeljagd stattfand, zu deren Teilnahme ich befohlen wurde. Man sagte mir, dass das eine hohe Auszeichnung sei, doch ich war wenig entzückt davon, denn von der Falkenbeiz verstand ich nichts. So fühlte ich mich gar nicht wohl in meiner Haut, und es war auch kein glücklicher Tag.
    Bald nach Sonnenaufgang erhob sich ein ziemlich starker Wind, die Vögel wurden abgetrieben, und einer der schönsten Falken geriet in die Fänge eines Adlers. Da hörte ich Ulug Beg sagen: ›Seit der Kükülli nicht mehr hier ist, habe ich kein Glück auf der Vogeljagd. Gibt es denn niemanden, der ihn mir ersetzt?‹ Und dann traf mich sein Blick, und er rief mir zu: ›War nicht dein Vater Falkner, Ali Ben Muhammad? Hatte nicht Kükülli seine Kunst von ihm gelernt? Und du stehst hier wie einer, der keine Ahnung davon hat! Schau in der Nacht nach dem Kreisen der Sterne und bei Tag nach dem Flug der Vögel. Auch sie stehen dem Himmel näher als wir!‹
    Da packte mich der Ehrgeiz, Dschirdschis — ich weiß nicht, ob du das kennst. Ich wollte meinem Herrn ein Diener sein, wie er sich ihn erträumte. Und wenn mir der Kopf von all den Sternbeobachtungen und -berechnungen rauchte, ging ich zu den Falknern und lernte ihnen ihr Handwerk ab. Und ich hab's nicht bereut. Es ist eine schwere Kunst. Es ist eine herrliche Kunst!«
    Mir sauste es in den Ohren. Muhammad Ben Ala-eddin – wie gut erinnerte ich mich seiner aus den Tagen meiner Kindheit. War ich damals vielleicht auch seinem Sohn Ali schon begegnet? Ich tastete dessen Gesicht mit den Augen ab, stellte aber erleichtert fest, dass ich keinen bekannten Zug darin entdecken konnte. Vermutlich hatte er Samarkand schon verlassen, als ich in der Medrese aus und ein ging.
    Ali Kuschtschi hatte innegehalten, und unsere Blicke kreuzten sich. Doch auch in dem seinen stand keine Spur eines Erkennens.
    Dann gab er dem Gespräch eine andere Wendung.

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