Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
Durfte ich sie ausschlagen? Gäbe es eine Begründung dafür, die der Vater begreifen und also nicht als Beleidigung auffassen würde? Sollte ich ihm etwa sagen, dass ich in christlicher Ehe gebunden sei an eine andere Frau? Nun, das käme einem Selbstmord gleich. Und fühlte ich mich denn gebunden, da ich Margit verlassen hatte, um sie niemals wiederzusehn? Aber würde mir der Kasi seine Tochter überhaupt geben wollen? Dieses schien mir ganz unwahrscheinlich zu sein. Was für einen Grund dafür sollte er denn haben? War ich nicht ein mittelloser Fremdling und er einer der einflußreichsten Männer in Samarkand? Sicherlich hatte sich Rachman den Plan ausgedacht, weil er mir zugetan und noch zu jung war, um der Vernunft vor dem Gefühl Vortritt zu lassen.
Doch als ich ihm das auf den Kopf zusagte, rief er: »Nein, Dschirdschis! Ich habe mit dem Vater darüber gesprochen. Er sagt, dass aus dir noch etwas werden kann. Er sagt, wenn Ulug Beg erfährt, dass du im Abendland eine Hohe Schule besucht hast, werden dir sicherlich alle Türen offen stehn.«
Ulug Beg! Oh, wie fieberte ich einer Begegnung mit ihm entgegen!
»Nun gut, Rachman – führe mich zu deiner Schwester.« Leila. Ich will sie nicht beschreiben. All dieses Wortgepränge, das die Dichter zur Schilderung weiblicher Schönheit benützen, ist viel zu abgegriffen, und mit Rosen und Nachtigallen hat die Liebe kaum etwas zu tun. Mit vierzehn Jahren war sie verheiratet worden. Einundzwanzig war sie jetzt. Sieben Jahre also in der Hand eines Rohlings gewesen. Was hatte sie ausgestanden? An ihren Zügen war es nicht zu erkennen. Die waren weich geblieben wie bei einem Kind. Wohl aber an ihren Augen. Ganz dunkle Augen. (Dass auch Funken aus ihnen schlagen konnten, merkte ich erst später.)
Würde sie mich lieben können? Das war die erste Frage, die ich an mich stellte. (An mich, nicht an sie – wir sprachen kaum miteinander, waren viel zu befangen.) Die Ehe kam zustande. Als ich meine junge Frau ins Schlafgemach führte und sie entkleidete, weinte sie. Ich war tief erschrocken. »Wenn ich dir zuwider bin, Leila ...« Sie wandte sich mir zu, das Hemd hatte sich schon von ihrer Schulter gelöst, ließ ihr die Brust frei, die sich im Atmen senkte und hob.
»Warum solltest du mir zuwider sein? Du bist stattlich, du bist schön, du bist klug ... Aber – auch du wirst mich schlagen, und vielleicht wird es mir von dir noch weher tun als von ihm!«
»Nie, Leila – nie! Das schwöre ich dir bei allem, was mir heilig ist!« rief ich und riss sie an mich. Wir waren uns verfallen von diesem Augenblick an. Sie war eine Frau, wie sie sich ein Mann nur wünschen kann. Von bester Erziehung, konnte lesen und schreiben, singen und Laute spielen, wusste Hunderte von Gedichten auswendig, liebte vor allem die Verse von Hafiz. Schlagfertig und vor Witz sprühend war sie auch – lachte so gerne! Aber dann, plötzlich, konnten sich ihre Augen verschatten, und wenn ich sie nach dem Grund fragte, hatte sie Verse auf der Zunge wie diesen:
Es stirbt der Durst, wenn du ihn stillst im Weine, und Liebe, die gesättigt wird, ist keine. Wenn du erfliegen durftest deine Sonne, wie sonntest du dich dann an ihrem Scheine?
Die Meinung meines Schwiegervaters, dass Ulug Beg mich eines Tages werde rufen lassen, hatte mich in eine Spannung versetzt, die sich von Tag zu Tag steigerte. Denn dieses Ereignis ließ länger auf sich warten, als ich vermutet hatte. Miskin selber tat freilich auch nichts dazu, es herbeizuführen. War er doch von einem geradezu fanatischen Hang besessen, nie auch nur um Haaresbreite vom Weg der unbedingten Rechtlichkeit abzuweichen. Sogar dem Herrscher trat er entgegen, wo er das für seine Pflicht hielt. Man erzählte mir, dass in einem Rechtsstreit Ulug Begs gegen einen Handelsherrn Miskin vom Recht des Beklagten überzeugt war und dem Fürsten gesagt hatte: »Wenn mein Herr will, dass ich unter allen Umständen eine für ihn günstige Entscheidung treffe, so möge er Befehl geben, mich bei Frost mit gebundenen Händen und Füßen in kaltes Wasser zu stellen, bis ich das Bewusstsein verliere. Dann werde ich verfügen, dass ihm das Gut des Kaufmanns als Ersatz für verlorengegangenes Eigentum übergeben werde.« Bei einer solchen Einstellung ist es wohl begreiflich, dass der Kasi es vermied, seinen Verwandten durch Ausnützung seines Einflusses die geringsten Vorteile zu verschaffen. Aber Ismail Ben Kais war befreundet mit Ali Kuschtschi, dem Leiter der Sternwarte.
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