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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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durchgesickert. Seine Mutter soll, als vor anderthalb Jahren sein Vater so krank war, den obersten Heerführer einen Treueid auf Ala'ud Daula als den Thronerben haben schwören lassen, den Sohn Baisonqurs, und nicht auf unsern Sultan, der doch als ältester Sohn Schach Ruchs der erste Thronanwärter ist.«
    Und ich erfuhr von den verworrenen Zuständen, die unter den Nachfahren des großen Timur eingerissen waren. Üblich war es schon zu dessen Zeit, dass die ältesten Fürstensöhne ihren Vätern weggenommen und an seinem Hof erzogen wurden. So war auch Ulug Beg nicht bei seinem Vater Schach Ruch und seiner Mutter Dschauhar Schad aufgewachsen, sondern bei Timur selbst, und Ulug Begs Ältester, Abd'ul Latif, hinwiederum bei Schach Ruch. War das eine Maßnahme, die die Väter gegen ihre Söhne ergriffen? Nahmen sie mit deren Kindern sozusagen Geiseln in die Hand, um sich gegen Unbotmäßigkeiten und Aufsässigkeiten zu schützen? Ich vermute das.
    Neben Abd'ul Latif wurde aber auch sein Vetter Ala'ud Dulä in Herat erzogen, und er war ihrer Großmutter Liebling. Diese alte Fürstin nun hielt die Regierungsgeschäfte in der Hand, denn Schach Ruch selber kümmerte sich, je älter er wurde, je weniger darum, lebte nur noch seinen religiösen Pflichten. Ulug Beg aber entfremdete sich seinem ältesten Sohn immer mehr und wandte sein Herz dem jüngeren, Abd'ul Aziz, zu, der unter seinen Augen heranwuchs. Diese Zurücksetzung übte natürlich auf den ehrgeizigen, mit Mut, Geist und Tatkraft begabten Abd'ul Latif ihren verderblichen Einfluss aus, machte ihn gewalttätig, misstrauisch, hinterhältig und gewissenlos in der Wahl seiner Mittel. Das waren die Wolken, die den Sternhimmel von Samarkand verdüsterten. Und sie nicht allein. Man tuschelte, dass Ulug Beg auch in seinem Harem nicht glücklich war. Es gingen dunkle Gerüchte um, als habe er eine seiner Frauen getötet, weil sie ihm untreu gewesen sei, und seine Lieblingsgattin verstoßen, weil sie ihrer Freude über den Tod der Nebenbuhlerin einen zu lauten Ausdruck gegeben habe. Ansatzpunkte also genug für die Derwische, ihr Spiel zu treiben.
    Diese Schatten streiften mich aber nur wie von weitem, denn meine Tage waren ausgefüllt bis zum Rande. Und mehr und mehr auch die Nächte.
    In der Medrese bürdete mir Ismail eine Arbeit nach der andern auf. Er war ein recht bequemer Herr, der sich das Leben so leicht wie möglich zu machen wusste. Nach dem Unterricht warteten schon die Kranken auf mich. Wenn ich aber dann von meinen Rundgängen nach Hause kam, gönnte ich mir wenig Schlaf. Oft stand ich schon sehr bald nach Mitternacht auf und ritt zur Sternwarte hinaus, wenn eine besondere Sternkonstellation zu erwarten war. Die große Leuchtschrift am Himmel hatte es auch mir angetan. In all diesem Tun störte mich Leila nicht. Niemals machte sie mir einen Vorwurf, dass ich sie vernachlässige, niemals gar bauschte sie irgendwelche Geringfügigkeiten auf, um meine Beachtung zu erzwingen. Sie suchte sich ihre eigene Beschäftigung und fand sie.
    Wir wohnten immer noch im Hause meines Schwiegervaters. An Mitteln fehlte es mir zwar nicht mehr, ein eigenes zu erwerben, wohl aber an Zeit, mich darum zu kümmern. Und dem Kasi schien das recht zu sein. Hing er doch an Leila von allen seinen Kindern am meisten.
    Auch ihre Geschwister gingen gern bei ihr ein und aus und brachten Unterhaltung und Abwechslung genug. Besonders oft besuchten sie die beiden Schwestern, deren Sorgen sie teilte, deren Klagen sie geduldig anhörte. Ach, sie hatten deren genug: Ärger mit Kindern und Gesinde, Eifersucht auf Sklavinnen, die sehr widerspenstig werden können, wenn sie aus den Umarmungen des Hausherrn Kraft dazu schöpfen.
    Für alle und alles fand Leila Trostworte – sie selbst klagte niemals.
    Die Kinder ihrer Schwester hingen an ihr mit großer Zärtlichkeit. Welche Spiele wusste sie aber auch mit ihnen zu spielen, welche Geschichten zu erzählen! So war unser Haus immer voll mit Lachen und Weinen. Nur eigene Kinder bekamen wir nicht.
    Wir sprachen nicht darüber. Ich nicht, um sie nicht zu verletzen, und sie ebenfalls nicht, so dass ich gar nicht ahnte, wie sehr sie darunter litt. In den seltenen Stunden, die ich für sie erübrigte, gab sie sich heiter und unbefangen – selbst der Anflug von Schwermut, der mich im Anfang unserer Ehe manchmal so an ihr erschreckt hatte, verlor sich mit der Zeit und machte einer Ausgeglichenheit Platz, von der niemand vermutet hätte, dass sie nur Maske war,

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