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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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Gespräch verstummte, jedes Knie beugte sich, als er durch die Räume ging, doch er beachtete niemanden, und »Ali Kuschtschi« war das einzige Wort, das er sprach. Der Gerufene eilte herbei. Mit einem Wink seiner Hand gab er den andern zu verstehen, dass sie entlassen seien.
    Was die beiden Männer miteinander sprachen, habe ich niemals erfahren. Ob Ulug Beg die Sterne nach seinem Schicksal befragt und welche Antwort er von ihnen erhalten hat – ob sie ihn warnten, ob sie ihn trogen – wer kann es wissen? Warum er sich nicht hinter den Mauern seiner Stadt verschanzte, ob er sich inmitten seiner Krieger sicherer fühlte als inmitten seiner Bürger, warum er einen seiner Schwiegersöhne zum Statthalter ernannte und Abd'ul Aziz mit sich nahm, als er zur Entscheidungsschlacht gegen Abd'ul Latif aufbrach – Gott weiß es.
    Keinen Tagesritt von Samarkand entfernt trafen Vater und Sohn aufeinander. Der Sohn siegte. Der Vater stand am nächsten Morgen mit den letzten seiner Getreuen vor den Toren der Stadt. Sie wurden ihm nicht geöffnet. Und tags darauf zog Abd'ul Latif mit seinem siegreichen Heer in Samarkand ein.
    Ali Kuschtschi war nicht mit Ulug Beg in den Kampf gegangen. Nachdem sein Herr und Freund die Sternwarte verlassen hatte, saß er die ganze und auch die kommende Nacht über seinen Papieren. Und seinen Untergebenen bedeutete er, weiterzuarbeiten, als wäre nichts geschehen. Jeder bemühte sich, Ruhe und Gleichmut zur Schau zu tragen: An der kupfernen Skala des Mauerquadranten arbeiteten die Vermesser, schoben den Diopter, maßen die Winkelhöhen der Sterne bei ihrem Meridiandurchgang, und auch ich suchte hinter der scheinbaren Ruhe, die uns eine beständig ausgeübte Tätigkeit verleiht, Schutz vor der unerträglichen Spannung und brachte manche Nachtstunde in der Sternwarte zu.
    So vergingen einige Wochen.
    Eines Abends bat mich Leila: »Bleib heute zu Hause, mir ist so bang.«
    Es war das erste und das letzte Mal, dass sie einen derartigen Wunsch aussprach.
    »Bange im Haus deines Vaters?« Ich versuchte zu lachen. »Wo könntest du sicherer sein?« »Und du – vor den Toren der Stadt?«
    »Nun, in der Nacht gibt es keine Truppenbewegung, und sobald die Sterne verblassen, bin ich wieder bei dir.« »Aber reite erst bei Morgengrauen, nicht in der Dunkelheit!«'
    Ich versprach ihr das.
    Sie küsste mich beim Abschied so stürmisch wie schon seit langem nicht. Aber etwas schmeckte mir an ihrem Kusse schal.
    Kurz vor Mitternacht wurde ans Tor der Sternwarte gepocht. Ali Kuschtschi öffnete selbst. Fünf Männer begehrten Einlass. Männer von Rang und Namen. Ich kannte sie alle. (Aufatmend stelle ich fest, dass sich mein Schwiegervater nicht unter ihnen befand.) Zwei waren Fakihs, hohe Beamte, die unserm Sultan immer große Ehrerbietung gezeigt und von ihm mit Gnadenerweisen überhäuft worden waren, zwei waren Emire und der Fünfte kein anderer als Muhammad Parsa, der oberste Scheich der Naqschbandi-Derwische von Buchara.
    Dieser führte das große Wort. Verlangte von Ali Kuschtschi nicht mehr und nicht weniger als die Herausgabe aller Aufzeichnungen und Berechnungen, die jemals in der Sternwarte gemacht worden waren.
    »Was wollt ihr damit?« fragte Ali. »Wozu können sie euch nützen, da ihr nichts davon versteht?«
    »Nicht nach ihrem Nutzen fragen wir, sondern nach ihrem Schaden! Ihr wollt den Geheimnissen Allahs auf die Spur kommen mit euren Messungen und Rechnungen, eurem eigenen armseligen Denken? Wehe euch! Was wir Menschen sehen können, ist doch immer nur der äußere Schleier. Was dahinter liegt, hat Allah den Menschen verborgen – er allein weiß warum. Was nützen also alle eure Anstrengungen, wenn der Weg, den ihr einschlagt, der falsche ist? O du Verblendeter! Wenn einst die Stunde anbricht, in der die Schleier vor den Welträtseln fallen, dann wird man euch Irrlehrern übel mitspielen! Glaube mir, es wäre euch besser, wenn ihr niemals nach den Früchten gegriffen hättet, die ihr doch nicht verdauen könnt!«
    Er hatte sich so in Eifer geredet, dass sich seine Stimme überschlug. Aber einer der Fakihs, die neben ihm standen, wartete das Ende seiner Strafpredigt gar nicht ab, sondern schrie dazwischen: »Wo sind die Papiere? Heraus damit!« Ali Kuschtschi, der dem Derwisch die ganze Zeit in die Augen gesehen hatte, ohne eine Miene zu verziehen, zuckte auch bei dieser Aufforderung nicht zusammen. »Bringt sie!« sagte er zu seinen Helfern, und, als die zögerten, »ja, bringt sie nur.«
    Man

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