Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
Vom Netzwerk:
eingeweiht, Ali Kuschtschi machte immer noch Eintragungen in das Sternenverzeichnis, das er, dem Herrscher zu Ehren, die Ulug-Begschen Tafeln nannte, obschon die meiste Arbeit daran von ihm und seinem Vorgänger geleistet worden war – doch will ich das Verdienst unseres Sultans keineswegs verkleinern, der ja den Anstoß dazu gegeben und die Möglichkeiten zur Ausführung geschaffen hatte, alle Angaben überprüfte und Eintragungen auch selbst immer wieder vornahm.
    Ja, wer in jenen Tagen die Straßen von Samarkand durchschritt, in seinen Moscheen betete, in seinen Basaren feilschte und handelte, das Geschrei der Verkäufer im Ohr hatte, die ihre Waren anpriesen, der Eseltreiber, die ihre Tiere mit Zurufen lenkten, der Muezzins, die zum Gottesdienst einluden, der hätte nicht angenommen, dass dieser Stadt und ihren Bewohnern irgendeine Gefahr drohe und ihr Herrscher in Kriege verwickelt war.
    Bis die Kunde wie ein Blitz einschlug: Abd'ul Latif hat sich gegen seinen Vater empört!
    Mit diesem Ruf trat Rachman in unser Zimmer. Ich saß gerade mit Leila beim Schachspiel. Auch dieses beherrschte sie, ich musste mich sehr anstrengen, wenn ich sie mattsetzen wollte, und es gelang mir selten genug. Ich spielte ja aber auch selten – wann schon nahm ich mir die Zeit dazu? Als ich meines Schwagers vor Erregung sich fast überschlagende Stimme hörte und die ganze Tragweite seiner Worte erfasste, sprang ich so jäh auf, dass die Schachfiguren zu Boden fielen.
    Auch Leila wurde blass. »Der Sohn gegen den Vater?« fragte sie erschrocken und setzte dann, mit einem scheuen Blick auf mich, fast unhörbar fort: »Ist es da nicht besser, keinen zu haben?«
    Es war das erste Mal, dass sie auf unsere Kinderlosigkeit anspielte, aber sosehr es mich berührte, tat ich doch, als hätte ich es nicht gehört und wandte mich mit all den mich nun bestürmenden Fragen an Rachman. »Abd'ul Latif gegen Ulug Beg? Wie ist das geschehen und warum?«
    Als Antwort konnte mein Schwager nur Gerüchte wiedergeben, die einander widersprachen.
    Einige sagten, Abd'ul Latif sei mit seinem Vater unzufrieden gewesen, weil der ihm nicht gegen Babar zu Hilfe geeilt sei, als auch dieser Timur-Nachkomme ihn bekriegt und sich Herats bemächtigt hatte. Aber das konnte kaum stimmen, denn Abd'ul Latif musste doch wissen, dass Ulug Beg ihm nicht hatte zu Hilfe kommen können, weil ihm die Özbegen den Weg abgeschnitten und ihm schwere Verluste beigebracht hatten.
    Bei andern hieß es, Abd'ul Latif habe von Balch aus, wohin er sich von Herat zurückgezogen hatte, einen Feldzug gegen Miranschah unternommen (auch einem Timuriden, aber selbst Rachman wusste nicht, in was für einem Verwandtschaftsverhältnis er zu Abd'ul Latif stand), und als dieser Prinz gefangen und erschlagen worden sei, hätte man einen Brief Ulug Begs bei ihm gefunden, aus dem hervorgegangen wäre, dass dieser selbst den Aufstand Miranschahs angezettelt habe.
    Auch kaum zu glauben – denn welche Veranlassung sollte unser Sultan wohl gehabt haben, seinem eigenen Sohn derartige Schwierigkeiten zu bereiten?
    Und wer verbreitete diese Nachrichten? Nicht schwer, herauszubekommen, dass es Derwische waren. Derwische vom Orden der Naqschbandi.
    Nun musste Ulug Beg mit Heeresmacht gegen den Sohn ziehen, und er übergab die Sorge für Samarkand seinem Jüngsten, Abd'ul Aziz.
    Das war ein Fehler. Denn dieser junge Prinz, der sich der Zuneigung seines Vaters nur allzu gewiss war, kostete zum ersten Mal das berauschende Gefühl der Macht und erlag ihm: trat viel zu herrisch auf, stieß Gutgesinnte vor den Kopf und war doch den übel Gesinnten nicht gewachsen. Klagen drangen von Samarkand bis zu den Truppen, die am Oxus dem Heer Abd'ul Latifs gegenüberlagen, und als die Emire von der Unbill erfuhren, der ihre Familien von Abd'ul Aziz ausgesetzt waren, kam es zur Meuterei. Mit Mühe nur gelang es unserm Sultan, sie zu beschwichtigen und zu verhindern, dass er ergriffen und an Abd'ul Latif ausgeliefert wurde.
    Nun freilich gellte auch den Samarkandern das Kriegsgeschrei in die Ohren. Ein Nomadenstamm drang vor bis vor ihre Tore, in Gewaltritten musste Ulug Beg herbeieilen, um ihn zu vertreiben und in seiner Stadt die Ordnung wiederherzustellen. Dies war sein letzter Sieg, denn unterdessen war es dem Empörer Abd'ul Latif gelungen, sein Heer über den Oxus zu setzen.
    In der Nacht, ehe Ulug Beg aufbrach, um sich dem Sohn zur Entscheidungsschlacht zu stellen, erschien er noch einmal in seiner Sternwarte. Jedes

Weitere Kostenlose Bücher