Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
gestellt worden, dass ich nicht mehr leben kann, ohne sie zu bereuen und alles, was in meiner Macht steht, zu tun, um sie zu sühnen. Durch das, was du tatest, ist es mir aber auch möglich, die eine Schuld wiedergutzumachen, ohne eine zweite auf mich zu laden, nämlich eine gegen dich. Glaube mir, Leila, nie habe ich dich mehr geliebt und begehrt als jetzt, wo ich dich verloren habe. Doch wie heißt es in dem Lied, das du mich gelehrt hast:
Es stirbt der Durst, wenn du ihn stillst im Weine, und Liebe, die gesättigt wird, ist keine. Wenn du erfliegen durftest deine Sonne, wie sonntest du dich dann an ihrem Scheine?«
Die Trennung kam schneller, als ich erwartet hatte. Denn das Schicksal Ulug Begs verflocht sich mit dem meinen. Der Sultan hatte sich, nachdem ihm die Tore von Samarkand verschlossen geblieben waren, mit dem Häuflein seiner letzten Getreuen nach der Festung Schach-Rochija gewandt, wo er einen Untergebenen als Befehlshaber zurückgelassen hatte. Doch der hatte nicht die Rettung seines Herrn, sondern nur seine eigene im Kopf: Nicht nur, dass er dem Unglücklichen den Eintritt verwehrte, versuchte er sogar, ihn zu ergreifen, um ihn an Abd'ul Latif auszuliefern. Da kehrte Ulug Beg um, ritt nach Samarkand zurück und gab sich freiwillig in die Hand seines Sohnes. Mir ist, als hörte ich ihn sprechen:
»Allah hat zwischen uns entschieden, und ich beuge mich seinem Willen. Ja, ich verzichte für immer auf jeden Herrschaftsanspruch. Lass mich auf die Wallfahrt gehen. Wer denkt, ich wäre kein rechter Moslem, soll sich vom Gegenteil überzeugen. Lass mich in Frieden ziehen – wiederkommen werde ich nicht.«
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, dass Vater und Sohn sich ausgesöhnt hätten und Ulug Beg das Land in Kürze verlassen werde, um seinen Pflichten als ein wahrer Moslem Genüge zu leisten. Man atmete auf in Samarkand, als man das hörte. Nun musste der Bürgerkrieg ja ein Ende finden und wieder Ruhe einkehren! Und mit dem neuen Sultan würde es sich leben lassen: War er nicht fromm wie sein Großvater? Ja, ein Glaubenserneuerer würde er werden, streng nach der Schariat würde er regieren, jedermann würde wissen, wonach er sich zu halten habe. Und Allahs Segen würde nicht auf sich warten lassen. Für mich war diese Nachricht wie ein Fingerzeig. Ich sagte zu Miskin: »Immer schon war meine größte Sehnsucht die Pilgerfahrt zu den Heiligen Stätten. Nun reist unser vom Unglück verfolgter Sultan dorthin. Es wird ihm nicht unlieb sein, wenn ein Arzt ihn begleitet. Kannst du dich nicht bei seinem Sohn für mich verwenden?«
Er sah mich betroffen an. Dann fasste er sich. »Ich wusste, dass du ein guter Moslem bist, Dschirdschis«, sagte er, »aber was wird Leila ...«
»Leila wird mir ihren Segen mit auf die Reise geben. Und wenn ich nach Jahr und Tag nicht zurückkehren sollte ...« Da stand sie neben uns.
»Vater«, rief sie, »ich gelobe bei Allah, dass ich mich nie von ihm scheiden lasse – niemals! Ob er nun zurückkehrt oder ob der Allmächtige ihm einen andern Weg weist – ja, selbst wenn mir sichere Kunde von seinem Tode würde, will ich nie mehr einem andern Mann angehören!« Ernst und besorgt sah der Richter auf seine Tochter und sagte: »Das Gelöbnis einer Frau ist vor Allah nur dann gültig, wenn ihr Gatte es gutheißt.« Und mir war, als wollte er mir damit einen Wink geben. Leila aber sandte mir einen Blick zu, aus dem eine solche Verzweiflung sprach, dass ich nicht anders konnte, als zu sagen: »Ich heiße es gut.« So war meine Wallfahrt denn beschlossen, und mein Schwiegervater hatte auch keine Bedenken, seinen Einfluss geltend zu machen, um sie mir zu ermöglichen. Denn den seiner Macht beraubten Fürsten ins Elend zu begleiten versprach ja keinerlei Gewinn, brachte weder Geld noch Ehre ein. Und es gelang ihm auch unschwer, Abd'ul Latifs Einwilligung dazu zu erwirken.
Nur wenige Männer waren es, die an einem windigen Herbstabend Samarkand verließen. Der letzte Blick, den ich auf diese Stadt werfen konnte, zeigte sie mir noch einmal in ihrer ganzen Schönheit: Die sinkende Sonne vergoldete die Kuppeln all ihrer Moscheen und Medresen, und da uns der Weg nach Westen führte, blinkten sie wie in einem Feuerwerk auf und machten mir dadurch den Abschied nicht leichter.
Warum wir am Abend aufbrachen? Nun, es war Ramasan, dieser Monat, in dem der Moslem bei Tag weder essen noch trinken darf. Da galt es, bei Tage zu ruhn und in der Nacht zu reisen. Den rechten Weg
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