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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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würde Ulug Beg den Sternen ja noch ablesen können.
    Genau gesagt war es der Abend des 9. Ramasan im Jahre 853 nach Muhammads Flucht aus Mekka, nach der die Moslems ihre Zeit berechnen wie wir Christen die unsere nach unseres Heilands Geburt. Und somit der 26. Oktober 1449. wie ich feststellte – meine glückliche Zeit hatte demnach nicht länger als vier Jahre gedauert!
    Ali Kuschtschi war nicht unter uns. Ich weiß nicht, ob er nach dem Brande der Sternwarte Samarkand verlassen hatte oder ob Abd'ul Latif ihm als dem nächsten Vertrauten Ulug Begs die Begleitung nicht gestattete. Dafür aber hatte er dem Vater einen Mann mit auf den Weg gegeben, der schon einmal auf Pilgerfahrt gewesen war und daher mit Rat und Tat behilflich sein konnte: Hadschi Chosru, ein Perser von Geburt.
    Ulug Beg war so heiter, so unbeschwert, wie ich ihn selbst in meiner Knabenzeit nicht erlebt hatte. Er plauderte mit dem Perser über Literatur, sagte: »Man sollte es nicht für möglich halten, dass mein Bruder Baisonqur dem indischen Dichter Chosru Dehlavi den Vorzug vor dem großen Perser Nisami gab – was meinst du, hältst du es mit deinem Namensvetter oder mit deinem Landsmann?« »Mit Nisami natürlich«, gab der Hadschi zurück und hatte auch gleich einen Vers bereit:
    »Gar mancher liebt's, dass er die Welt durchwandre,
    dass eine Reise immer jagt die andre,
    die Schönheit jeder Zone schnell durchhastend,
    an jedem Rastort dann in Ruhe rastend,
    von dem Verborgenen sich erwerbend Kenntnis,
    noch nicht Geschautes schauen mit Verständnis ...«
    Plötzlich brach er ab, strich sich mit einer Geste der Verlegenheit über den Bart und senkte den Blick. Da sagte Ulug Beg: »Du musst die nächsten Verse nicht hinunterschlucken, Chosru, ich bin Manns genug, sie zu hören«, und er fuhr fort:
    »Doch suche in der Ferne nicht, was nah:
    Nur in der Heimat bist du Padischah!
    Zu leben in der Vaterstadt verborgen
    ist besser als der Fremde Herrschersorgen;
    lockt auch ein Land mit Schätzen der Belohnung,
    nie stirbt die Liebe zu der Väter Wohnung.«
    Und dann, wie, um die Wirkung dieser Worte abzuschwächen, wandte sich der Sultan an mich:
    »Im Abendland«, sagte er, »gibt es solche Gedichte wohl nicht.«
    Da fühlte ich mich verpflichtet, die Ehre des Abendlandes zu retten. Giuliettas liebliche Gestalt stieg vor mir auf, und die Verse, die sie mir einst vorgetragen hatte, sprangen mir auf die Zunge:
    »Gesegnet sei der Tag, der Mond, das Jahr,
    die Stunde und der süße Augenblick,
    das liebe Land, der Ort, wo mein Geschick mich band
    an dieses schöne Augenpaar.«
    »Das klingt nicht übel«, meinte Ulug Beg. »Doch nun übersetze es mir auch.«
    Ich bin gewiss kein Dichter. Aber die Stimmung, die über uns gekommen war, dieses Loslassen aller Erdenschwere, beflügelte auch mich, so dass mir sogar eine metrische Übersetzung aus dem Stegreif gelang.
    »Recht gut«, lobte Ulug Beg. »Dichter mögen sie haben, deine Abendländer – aber Astronomen haben sie keine. Und hier bin ich der letzte!« Und er lachte – lachte wie über einen gelungenen Witz.
    Wie? Unterlag er noch den Gesetzen der Körper, oder saß er am Rande einer Wolke und segelte schwerelos über den Himmel hin? Hatte er alles verloren, oder war er von allem befreit worden? Oder ... konnte beides vielleicht dasselbe sein?
    Nach einiger Zeit kamen wir an einen kleinen Fluss – Sudsch, glaube ich, hieß er – und ritten am Ufer entlang, um eine Brücke zu finden. Da hörten wir einen Reiter in scharfem Galopp hinter uns herjagen. Bald hatte er uns eingeholt. Ein Tschagataier war's, vom Stamm der Sulduzen, ein stattlicher Bursche mit breitem, knochigem, kaum noch bärtigem Gesicht.
    »Halt!« rief er, »nicht weiter!«
    »Einen Pilger auf der Wallfahrt hält man nicht auf«, entgegnete der Hadschi an Ulug Begs Statt. »In diesem Fall schon. Ich komme im Namen des Chans. Er will nicht, dass ein so hoher Sultan die heilige Fahrt wie ein Bettler macht, fast ohne Gefolge. Darum bleibt hier, bis die Zurüstungen zu eurer Reise beendet sind, die ihr mit solchem Gepränge antreten sollt, dass sie bei groß und klein, bei Türken und Persern Beifall findet. Ich habe schon Herberge für euch in dem Dorf da bestellt.« Ulug Beg wagte nicht, sich zu widersetzen, aber mit seiner Schwerelosigkeit war es vorbei.
    Wir betraten ein Haus, man führte uns in einen ziemlich großen Raum, in dem sich ein Herd befand. Die Nacht wurde kalt, Ulug Beg befahl, ein Feuer anzuzünden und eine

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