Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
mein Begleiter genoss die Achtung, die ihm als dem Sohn seines Vaters gebührte.
Hermannstadt. Vom Turm läuteten die Glocken. Wir traten ein in das hochgewölbte Gotteshaus, knieten nieder, bekreuzigten uns, und die Töne der Liturgie, die mir so wohl vertraut waren, schafften etwas wie Heimatgefühl in meinem Herzen. Lutz führte mich zum Gestühl seines Vaters – hier hatte jeder seinen angestammten Platz, war eingereiht, geborgen.
Hermannstadt. Als wir aus dem Kirchenportal heraustraten, empfing uns ein Windstoß, der mir fast die Mütze vom Kopf gerissen hätte. Lutz, der die Seine ebenfalls festhielt, lachte: »Der Talmescher! Er weht fast das ganze Jahr.« An den Häusern vorbei dann der Durchblick auf die nackten Felsen des Fogarascher Gebirges. Wie nahe, fast überdeutlich man ihre Zacken und Schrunde sah. »Es wird bald Regen kommen«, meinte Lutz. Ein Leichenzug schritt an uns vorüber. Wir nahmen die Mützen ab. »Die Neustifter Nachbarschaft«, sagte Lutz. »Der Mann, der vorn links den Sarg trägt, ist ihr Nachbar-hann, der Jeckel Karl, der Onkel meines besten Freundes.«
Hermannstadt. Eine Welt für sich. Eine kleine Welt. Eine eigenartige Welt. Eine beschützte Welt. Man könnte leben dort – wie gerne würde man sich fügen in ihre wohldurchdachte Ordnung, wenn nicht ... wenn eben nicht ... »Hans«, sagte ich, als wir gegen Mittag nach Hause kamen und er mich erwartete, »die Sonne hat geschienen, die Glocken haben geläutet, der Wind hat geweht, die Berge waren blank wie frisch gewaschen, und alle haben sie mir dasselbe gesagt: dass es schön ist bei euch!« »Du hast es dir überlegt? Willst bleiben ...« »Es geht nicht!« antwortete ich. »Was nützt es, dass du nun eine neue Legende für mich erfunden hast – ein einziges unbedachtes ›Gyurka‹ von dir könnte mich schon verraten. Tag und Nacht würde mich die Angst nicht verlassen, dass der Teufel, der ja bekanntlich nicht schläft, irgendjemandem auf irgendeine hinterrückige Art zuflüstern würde: ›Was, Doktor Gregorius? Achmad Ben Kükülli ist das, der Bastard vom Köváry István, der schon unter dem Namen Georgius Covarus herumgelaufen ist und sich dann Dschird-schis Ben Ischtwan al Kuwa'iri nannte. Er ist kein Doktor und auch sonst nichts. Weit her und doch nicht weit her. Kein Moslem und kein Christ. Kein Italiener, kein Ungar und kein Türke. Aber der rechtmäßige Gatte der Köváry Györgyné, die sich jetzt Szabó Andrásné nennt, weil er sie in Bigamie leben lässt mit seinem einstigen Knecht.« »Ja, wenn du es so betrachtest ... Und ich hatte gehofft, dich im Hause zu haben, wenn Agnete niederkommt.« Er brauchte nichts weiter zu sagen. Ich las ihm seine Sorge von der Stirne ab. Und ein plötzlicher Gedanke durchfuhr meinen Kopf.
»Wenn es dir eine Beruhigung ist, Hans, will ich es wagen, bei euch zu bleiben, bis das Kind geboren ist. Und will in der Zeit auch meinerseits eine Aufgabe erfüllen – die Letzte, die ich hier noch haben kann: Die Wahrheit über mich darlegen. Mein Leben schildern, wie ich es geführt habe und wie es mich geführt hat. Ohne Beschönigung, keine Legende, die nackte, ungeschminkte Wahrheit. Mein Sohn hat ein Anrecht darauf, zu erfahren, wer sein Vater war. Du wirst ihm das Buch übergeben, wenn er erwachsen ist.«
Nun habe ich es beendet. Und das Kind ist zur Welt gekommen, die Mutter am Leben geblieben. Nun kann ich Abschied nehmen.
»Wohin willst du denn gehen?« fragt mich Hans Trautenberger.
»Fort. Weit fort. An einen Ort, wo ich nicht Versteck spielen muss. Es wird sich doch irgendwo in der Christenheit noch ein Fleckchen Erde finden lassen, wo ich mich nicht tarnen muss, wo ich keine Lügen zu ersinnen brauche, wo ich der sein darf, der ich bin.
Vielleicht in einem Kloster am Sinai. Vielleicht in einer Höhle im Kaukasus. Vielleicht ...«
»Immer in ein neues fremdes Land? Wo du doch nie ein wirkliches Zuhause gewinnen, überall heimatlos sein wirst?«
»Ach, Hans, es gibt so viele, die entwurzelt wurden, heimatlos sind gleich mir.
Aber: Das Heimatland der Heimatlosen sind – die Heimatlosen. Und die werde ich finden, wohin immer ich auch gehe.«
Erläuterungen
Akindschi: Siehe Spahi
Alif – Ba: Die ersten Buchstaben des arabischen Alphabetes
Allah akbar: Gott ist groß
Amice: Anredefall von amicus = Freund
Asti spumante: Ein Schaumwein aus der Gegend der norditalienischen Stadt Asti
Ave Maria: Gruß des Engels Gabriel an Maria, nach Lukas I, 28; er lautet auf
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