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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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unternommen. Zurückgeblieben waren bei den Zelten nur Weiber, Greise und Kinder. Und die paar Sklaven, die die Herden hüteten. Da sahen wir von weitem eine riesige Staubwolke, die sich unserm Lager näherte. »Ein Heereszug!« schrien die Weiber, und alles flüchtete. Ich aber blieb zurück. Ich hatte nichts zu verlieren. Nicht einmal die Freiheit.
    Es war aber kein Heereszug, sondern eine große Karawane, allerdings von berittenen Kriegern begleitet. Sie waren in einen Sandsturm geraten, vom Weg abgekommen und fast verschmachtet. Ich bot mich ihnen als Führer an. Wenn wir unserer Mannschaft in die Hände geraten wären, wir wären trotz der bewaffneten Begleitung nicht mit dem Leben davongekommen. Aber Gott bewahrte uns davor. Einer der Kaufleute war ein Grieche aus Trapezunt. Er sagte: »Mit uns ist es bald aus. Vor einem Jahr ist Konstantinopel in die Hände der Türken gefallen. Da wird sich auch unsere Stadt nicht mehr lange halten können. Drum bin ich zum Islam übergetreten. Da kann ich bessere Geschäfte machen.«
    »Gewiss«, antwortete ich, »da hast du recht getan.« Ich gab ihm einige gute Ratschläge, wie er sich unter den Moslems zu betragen habe, um nicht als Christ aufzufallen. Er dankte sie mir mit einem reichlichen Trinkgeld. Und auch die übrigen Reisenden waren nicht geizig – das Geld, das ich verdient hatte, als wir in Tus ankamen, langte mir bis zur Schwarzmeerküste.
    In Tus erkundigte ich mich nach Tirsad. Wir hatten ihn vor dreißig Jahren hier zurückgelassen. Aber keiner, den ich fragte, kannte seinen Namen. Das einzige, das mich an ihn gemahnte, war eine silberne Ampel, die ich in einer Moschee hängen sah. So, in der Art, hatten Guram und Tirsad manche angefertigt. Wer aber der Meister von dieser war, wusste mir niemand zu sagen.
    Doch erfuhr ich etwas anderes, was mich, wenn auch nicht mit Freude, so doch mit einer gewissen Genugtuung erfüllte: Abd'ul Latif lebte nicht mehr. Umsonst hatten sich die Samarkander Hoffnungen auf eine gute Regierungszeit dieses Sohnes von Ulug Beg gemacht. Nach dem Vatermord (o gewiss, er stand hinter Abbas und den Ausfertigern der Fetwa, wenn er auch heuchlerisch sich jeder Stellungnahme enthielt und als Strohmann den Chan vorschob, wie Ulug Beg ganz richtig vermutet hatte) hatte er sich auch noch mit dem Blut seines Bruders besudelt, und außer mit der Priesterschaft, die er in auffälliger Weise bevorzugte, verdarb er es sich mit jedermann durch seine Härte. Jeglichen Ungehorsam, ja selbst jegliche Kritik an seinen Maßnahmen unterdrückte er mit eiserner Faust und erwies weder der Jugend Freundlichkeit noch dem Alter Achtung. Und so bewahrheitete sich an ihm ein Spruch Nisamis:
    Gelänge es gleich dem Vatermörder,
    des Reiches Krone zu gewinnen:
    Eh noch sechs Monde sind verstrichen
    fühlt er schon all sein Glück verrinnen.
    Er fiel einer Verschwörung zum Opfer, ein Pfeil traf ihn aus dem Hinterhalt. Doch auch seinen Mördern war keine lange Lebenszeit vergönnt, denn auch für Abd'ul Latif fand sich ein Rächer, und so geriet die arme Stadt Samarkand aus einer Hand in die andere, bis sich schließlich die Özbegen ihrer bemächtigten. Was aber in den Zeiten dieser Wirren aus Miskin Rachman und Leila geworden war, konnte mir niemand sagen.
    Heimkehr? Was hieß für mich nun Heimkehr? War meine Reise nach Samarkand nicht auch eine Heimkehr gewesen?
    Ein islamisches Sprichwort sagt: »Die Welt ist ein Gasthaus, in dem du für fünf Tage einkehrst.« Ja, so ist es wohl.
    Trotzdem befiel mich, je näher ich meinem Reiseziel kam, desto mehr diese bange Erwartung, dieses unruhevolle Hoffen: Wie werde ich sie antreffen, denen von nun an meine Lebensmühen gelten sollen? Gyurka, den Zwölfjährigen, noch im Reize seiner Kindheit? Oder schon mit einem Anflug von Männlichkeit, der die Knaben scheu und linkisch macht? Keck und verwegen – ein Draufgänger? Oder still und nachdenklich – ein Träumer? Und Margit? War sie, auch erst zweiunddreißigjährig, schon gealtert durch die Bürde des Alleingelassenseins oder nur erfahrener geworden, in ihrer Güte gereifter?
    Die Ernte stand auf dem Halm, als ich die letzte Wegstrecke durch die Felder meinem Hof zuschritt. Fruchtbarer Boden, wohlbestellte Felder, nichts ließ erkennen, dass der Hausherr so lange ferngeblieben war. Oder sollten am Ende die Meinen vertrieben worden sein? Aus einer mir selbst nicht ganz erklärlichen Scheu hatte ich niemanden nach ihnen gefragt, wollte mit eigenen Augen sehen, mit

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