Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
schwerbepackten Wagen die steile Sporergasse hinaufzuziehen, wir stiegen beide ab, mein Fuhrmann und ich, und führten sie am Zügel. Dann lenkten wir in eine Seitenstraße des Großen Ringes ein, wo der Kaufherr wohnte, dem die Waren gehörten, und ich half verabredungsgemäß beim Abladen, erhielt auch ein kräftiges Mittagessen dafür und fragte schließlich nach der Wohnung von Hans Trautenberger.
Ein Mann, der Ungarisch verstand, beschrieb mir den Weg und das Haus, ein Eckhaus auf der Kleinen Erde. »Dort, wo sich die Gasse der Stadtmauer zu hinunterlässt, wohnt er, der Herr Doktor Johannes Trautenberger«, sagte er und betonte das Doktor, um mir zu verstehen zu geben, dass es sich für so einen wie mich nicht schickt, einfach »Hans« zu sagen. Ich verstand ihn.
Und dann stand ich vor dem breiten Holztor, über dessen ausladenden Flügeln sich eine schön geschnitzte Sonne wölbte wie das aufgehende Tagesgestirn über dem Kamm eines Gebirges. Es war unverschlossen. Ich öffnete es. Ein Hund war weder zu sehen noch zu hören. Ich trat ein. Der Hausherr stand im Hof. Über dem engen, mit Silberhafteln geschlossenen Rock trug er einen weiten braunen Mantel – schien also im Ausgehen begriffen zu sein. Als er mich sah, langte er nach seiner Geldbörse, doch ich ließ ihm nicht Zeit, eine Münze herauszunehmen, sondern sagte auf lateinisch: »Nicht um Geld bittet dich Georgius Covarus, sondern um ein Gespräch unter vier Augen.« Er fasste mich scharf ins Auge, und ich sah, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. »Komm«, sagte er schließlich leise und stieg vor mir die Treppe seines Hauses hoch. Stieß eine Tür auf, machte eine einladende Handbewegung, und dann, allein mit mir in einem mit Teppichen und Stickereien schön ausgestatteten Raum, umarmte er mich und konnte kaum Worte finden. »Kehren die Toten wieder?« fragte er.
Als ich mich gesetzt hatte, ging er zu einer Truhe, griff hinein, nahm eine silberne Gürtelschnalle heraus, legte sie vor mich auf den Tisch. »Kennst du diese?« Wie sollte ich sie nicht kennen? Tirsad hatte sie gearbeitet als wir noch in Samarkand lebten, mein Vater sie mir an meinen ersten ungarischen Rock anbringen lassen, danach trug ich sie, bis ich sie mitsamt Rock nach der Schlacht bei Warna ...
»Ja, Hans, aber wie kommst du zu ihr?«
»Ich kaufte sie von einem Zigeuner, der sie mir feilbot. Er brachte mir, als ich danach fragte, auch den Rock, von dem er sie abgeschnitten hatte – einen blutigen, verschmutzten, zerfetzten Rock. Diesen hier. Ich erkannte beides.« Und er legte das Kleidungsstück neben die Schnalle. »So hieltest du mich für tot?«
»Musste ich nicht, Gyurka, meine Seele? Musste ich nicht annehmen, dass Leichenfledderer dir den Rock auszogen, weil ihnen die kostbare Schnalle in die Augen stach? Ich fuhr sofort zu Margit und fand sie in einer verzweifelten Lage. András, den du als Verwalter zurückgelassen hattest, war im Begriff wegzugehen, hatte schon gekündigt. Warum, wollte ich wissen.
›Ich will die Wahrheit sagen‹, antwortete er mir unter vier Augen. ›Ich liebe die Frau. Und da ich sie nicht heiraten kann – wir wissen ja nicht, ob mein Herr nicht noch lebt –, so soll er mich nicht als Ehebrecher hier finden, wenn er wiederkommt‹
›Er kommt nicht wieder‹, entgegnete ich und zeigte den Rock. Sie weinten beide, als sie ihn sahen. Dann ordnete ich ihnen alles, so dass sie heiraten konnten. Auch dass dein Gyurka auf die Lateinschule geht, habe ich veranlasst. Ich dachte, es sei in deinem Sinne. Er ist ein heller, aufgeweckter kleiner Bursche, kann das erreichen, was dir versagt blieb.«
Dann klagte der Freund sich selbst an. »Ich bin schuld! Als Jurist hätte ich wissen müssen, dass ein Indiz niemals ein vollgültiger Beweis ist. Und nun, was soll werden?« »Nein, Hans, wenn einer hier Schuld auf sich geladen hat, bin ich es. Ich habe den Rock weggeworfen, weil ich nie mehr zurückzukehren gedachte. Und was werden soll? Die Hauptsache ist, dass nie jemand hier erfährt, wer ich bin – dass der Köváry György noch am Leben ist. Ich muss verschollen bleiben für Zeit und Ewigkeit.« Und ich begann zu erzählen.
Doch war ich nicht weit gekommen, als sich die Tür auftat und eine junge Frau in ihrem Rahmen stand: hochgewachsen, blond, etwas sommersprossig. »Komm herein Agnete« sagte Hans Trautenberger, »dieses ist...« Er suchte schnell nach einem Namen für mich, denn dass er den richtigen nicht nennen durfte, war ja klar.
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