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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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Augenlicht verloren?« fragte ich ihn.
    »Ja, mein Kind, damals.
    Die Tataren hatten viele Kamellasten mit Kleinodien aus unsern Kirchen weggeschleppt, und als sie herausbekamen, dass ich ein Goldschmied war, musste ich die herrlichen Altargefäße, die goldenen Monstranzen, die Taufbecken und Heiligenbilder aus getriebenem Silber in Stücke schlagen und zum Schmelzen bringen, um aus dem Metall andere Gegenstände anzufertigen, die ihrem Geschmack besser entsprachen. Du kannst dir vorstellen, wie mir dabei das Herz blutete, wie es sich in ohnmächtigem Hass verzehrte.
    Und eines Tages war es dann soweit.
    Ich bekam ein Madonnenbild in die Hand, das ich selbst angefertigt hatte: Der Mantel der Muttergottes hatte einen Saum aus Rubinen, und ihre Augen waren zwei Saphire, blau, wie manche von uns Georgiern sie haben, die aus der Kolchis stammen.
    Die Edelsteine musste ich immer sorgfältig herausbrechen, ehe ich das Metall zum Schmelzen brachte, und mit den Rubinen hatte ich das bereits getan. Als ich aber mit meinem scharfen Stichel der Muttergottes die Augen ausstechen sollte, fiel er mir zu Boden.
    Ein Aufseher merkte das, hob ihn auf, drückte ihn mir in die Hand, zeigte auf die blauen Steine und sagte drohend: ›heraus damit!‹ Da fasste ich das Muttergottesbild und warf es blitzschnell in den großen Tiegel, in dem schon das schmelzende Silber brodelte, sodass die Madonna samt ihren blauen Augen darinnen unterging.«
    »Warum tatest du das?« fragte mein Vater, der bis dahin schweigend neben uns gesessen hatte.
    »Ja, warum? Darüber nachzudenken wäre gar keine Zeit gewesen. Es war ein innerer Zwang, ausgeübt von jenem, der unser Schicksal lenkt, und das meine wurde dadurch auch auf eine folgenschwere Art berührt.«
    »Sie stachen dir die Augen aus«, sagte ich schaudernd, indem sich mir die ganze Szene so vergegenwärtigte, als hätte sie sich vor meinen Blicken zugetragen. »Weil du die Muttergottes nicht blenden wolltest, blendeten sie dich.«
    »So war es, Georgi, mein Sohn.«
    »Und dann?«
    »Dann jagten sie mich fort.«
    Er sagte das mit einem solchen Gleichmut in der Stimme, als ob es sich gar nicht um ein selbst erlittenes Geschick handelte, sondern um ein fernes fremdes, das man erzählt wie eine Legende. Und wir merkten auch nicht, dass meine Mutter sich, während er sprach, aus unserem Kreis entfernt hatte. Nur als wir eine Weile geschwiegen hatten, in unsere Gedanken und Empfindungen gehüllt wie in dichte Gewänder, sagte er plötzlich:
    »Hört! Nino weint.«
    Ich lauschte umsonst, ich konnte nichts vernehmen, Guram aber stand auf, ging den Lauten nach, die sein geschärftes Ohr wahrgenommen hatte, und fand meine Mutter, die sich aufs Bett geworfen hatte und ihr Schluchzen nicht mehr unterdrücken konnte.
    »Warum weinst du?« fragte er. »Es ist doch alles zu unserem Besten ausgegangen.«
    »Zu meinem vielleicht. Weil ich István gefunden habe. Aber zu deinem? Und zu dem meines Vaters? Hast du etwas über ihn erfahren?«
    »Auch zu seinem. Er hat die letzte Zerstörung Georgiens nicht mehr erlebt. Er hat nicht sehen müssen, wie sein Haus abbrannte, seine Tochter verschleppt wurde …«
    »Er ist tot? Woher weißt du das?«
    »Von einem Kaufmann aus Tbilissi, der mit ihm unterwegs war und nachher in die Hände der Tataren fiel. Er sagte mir, dass mein Schwager in der Nähe von Trapezunt an Typhus gestorben sei.«
    Während Guram das berichtete, in seiner ruhigen, etwas bedächtigen Art, hatte mein Vater meine Mutter im Bett hochgestützt und sich neben sie gesetzt. Er legte wortlos den Arm um ihre Schulter und presste sie an sich. Allmählich versiegten ihre Tränen.
    Über das Schicksal meines Ohms erfuhren wir noch folgendes – weniger von ihm selbst, denn er war sehr wortkarg, aber Tirsad erzählte uns, was er davon wusste. In seinem Unglück war Guram nicht verlassen. Seine Landsleute nahmen sich seiner an. Zwar waren sie allesamt im äußersten Elend: bis aufs Hemd ausgeplündert und versklavt. Dennoch fanden sie für ihn ein Quartier. Ein gutmütiger Hanbesitzer ließ ihn um Gotteslohn auf dem Heuboden seiner Scheune schlafen, des Morgens, vor Sonnenaufgang, brachten sie ihn an die Tür einer Moschee, stellten auch eine irdene Schale vor ihn auf die Erde, die die Almosen aufnehmen sollte, und des Abends, nach Sonnenuntergang, holten sie ihn von dort wieder ab.
    Anfangs flössen die Gaben spärlich. Denn er erhob nicht die Stimme, sprach niemanden an, sang nicht, weinte nicht, betete

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